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Jürgen
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Festzüge nun fester Bestandteil der Agitation sein würden, erfüllte sich nicht. Er
sollte der einzige dieser Art bleiben.
4 Sowjetrussisches Theater in Wien
Soweit ich eruieren konnte, kamen damals drei sowjetrussische Stücke, die
bereits in Deutschland mit Erfolg gespielt worden waren, in Wien zur Auffüh-
rung: 1930 Sergej Tret’âkovs Brülle, China! in der Übersetzung Leo Lanias, 1931
Vladimir Kiršons Rost und 1932 Mond von links von Vladimir Bill’-Belocerkovs-
kij in der Übersetzung von Hermynia Zur Mühlen. Die Aufführung der ersten
beiden Stücke wurde durch die Sozialdemokratische Kunststelle ermöglicht, mit
Mond von links wurde das Proletarische Theater eröffnet, das, so scheint es, der
KPÖ nahe stand und im September 1932 zum ersten Mal in Österreich Brechts
Die Maßnahme spielte. Während die Aufführung der Maßnahme in der sozial-
demokratischen Presse kritisch besprochen wurde, wurde über Mond von links
von der Wiener Presse, einschließlich der Roten Fahne, nicht berichtet.58
Die Aufführung von Brülle, China! war in der Wiener linken Öffentlichkeit
ein Ereignis. Für dieses Stück verkaufte die Kunststelle 1930 die meisten Karten,
genau 15.382, als Nächstes kam Friedrich Wolfs Die Matrosen von Cattaro mit
6000.59 Die Schlussszene des Stücks war vorab in der Zeitschrift der Kunststelle
Kunst und Volk abgedruckt worden.60 Es wurde im Neuen Wiener Schauspiel-
haus gegeben, inszeniert von Fritz Peter Buch, dem Regisseur der deutschen
Erstaufführung im Schauspielhaus Frankfurt.61 Das Stück, das auf einer wahren
Begebenheit beruht, behandelt die brutale Unterdrückung der Kulis durch die
Engländer in durchaus parteilicher Weise, wenn auch die Europäer in der Wie-
ner Aufführung im Gegensatz zur Moskauer Inszenierung Mejerchol’ds keine
58 Es war leider nicht möglich, die genauen Aufführungsdaten für dieses Stück zu eru-
ieren.
59 N.N.: Die Wiener Sozialdemokratische Kunststelle. In: Bildungsarbeit, Nr. 4/1931,
S. 48f.
60 Sergej Tretjakow:
Brülle, China! Schlußszene. In:
Kunst und Volk, Nr.
6/1930, S.
273–
278.
61 Zur deutschen Erstaufführung und zum spektakulären Erfolg des Stücks in Deutsch-
land vgl. Günther Rühle (Hg.): Theater für die Republik 1917–1933 im Spiegel der
Kritik. Bd. 2. Berlin: Henschelverlag 1988, S. 991–994. Friedrich Wolf bezeichnete
die Frankfurter Aufführung als „den eigentlichen Durchbruch“ bei der Rezeption
sowjetischer Stücke in Deutschland (zit. bei: Manfred Nössing, Johanna Rosenberg,
Bärbel Schrader:
Literaturdebatten in der Weimarer Republik. Berlin–Weimar:
Auf-
bau Verlag 1980, S. 570).
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur