Page - 119 - in Rudolf Eitelberger von Edelberg - Netzwerker der Kunstwelt
Image of the Page - 119 -
Text of the Page - 119 -
Wissenschaft, Industrie und Kunst 119
Fragezeichen macht klar, dass die Antwort nicht im Bereich der zeitgenössischen mate-
riellen Produktionsweisen gesucht werden soll. Im nächsten Paragrafen verfolgt Eitel-
berger die offengebliebene Frage unter Rückbesinnung auf Aristoteles’ Kategorie der
»banausischen« Kunstübung weiter, die des freien Menschen nicht würdig sei und hier
offensichtlich als Charakterisierung der Industriearbeiterschaft und ihres beschränkten
geistigen Horizonts dienen soll : »Eine solche Thätigkeit«, paraphrasiert Müller Aristo-
teles’ Theorie, »unterscheidet sich im Wesentlichen gar nicht von der des Sklaven, nur
daß der Sklave für die Bedürfnisse eines Einzelnen, seines Herren, der Lohndiener und
auf gleiche Weise auch der Handwerker, der um des Lohnes willen arbeitet, für die einer
Gesammtheit arbeitet.«18 Für Aristoteles, der den Unterschied zwischen freien und un-
freien Personen im Rahmen der auf Sklavenhaltung gegründeten antiken Wirtschafts-
weise nicht problematisiert, sind auch Handwerker als Lohnabhängige keine freien, für
repräsentative Aufgaben ausersehene Vollbürger und nicht für die freien Künste geeig-
net, die nur jenen zustehen.
Der Appell an dieses antike Elitebewusstsein kennzeichnet Eitelbergers Konserva-
tivismus. War doch Schiller von einer solchen herrschaftslogischen Position im Geiste
der Aufklärung längst abgerückt, indem er das »Majestätsrecht« der Person jedem zu-
gesprochen hatte : »Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und
Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich […].«19 Eitelberger will
diesen idealischen Menschen nun mit Aristoteles wieder ausdrücklich an ein gleich-
sam naturalisiertes Klassenrecht binden ; allein im Bereich der »freien Kunst«, die nicht
durch Lohnabhängigkeit desavouiert ist, soll die Trennung von Kunst und Handwerk
aufgehoben werden, was nichts anderes bedeutet als eine Verselbständigung des ästheti-
schen Scheins zur versöhnten Gestalt einer Kunst und Leben, Geist und Natur umfas-
senden Sphäre. Eine fiktive Natur wird aus der Taufe gehoben, die dem kapitalistischen
Verwertungsgesetz entzogen scheint, indem sie als Wiederkehr des antiken Modells
von Freiheit akzentuiert wird. Während Schiller, wie nach ihm Hegel und Marx, die
im Mythos auch lebenspraktisch zentrierten Künste der Antike für historisch überholt
hielt,20 orientiert sich Eitelberger an den Projekten der deutschen Romantik, die jene
antike Einheit von Kunst und Leben durch die Stiftung einer neuen Mythologie für die
Gegenwart wiederherzustellen trachteten21.
18 Müller, Geschichte der Theorie der Kunst bei den Alten (zit. Anm.
16), Bd.
1, S.
75.
19 Schiller, Über die ästhetische Erziehung (zit. Anm.
10), 4.
Brief, S.
199.
20 Ebenda, 15. Brief, S. 238. Die Griechen realisierten, so Schiller, in ihrer Kunst bereits das genuin
humane Spiel mit der Schönheit, »nur daß sie in den Olympus versetzten, was auf der Erde sollte
ausgeführt werden«.
21 Vgl. N. Lohse, Mythologie der Moderne. Ein romantisches Denkmodell, in : Gegenworte, 12, Heft
Herbst, 2003, S.
66–71.
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien