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120 Regine Prange unter Mitwirkung von Gerd Prange
Diese Orientierung offenbart Eitelberger auch in seinem Postulat, dass die Künste
»der Religion näher [stehen] als der Philosophie«.22 Nicht die Begrenztheit vernünf-
tigen Erkennens steht zur Klärung an, sondern »Unendlichkeit« wird beschworen.23
Nicht »Erfindung«, sondern »Empfindung« ist gefragt.24 Das »wahre Bedürfnis« als my-
thologische Quelle der neuen im Leben zentrierten Kunst findet in weiteren Leitideen,
zumeist Rumohr25 entlehnt, sinnige, wenn auch nur stichworthafte Ergänzung. Indivi-
dualität, freilich implizit auch die des Kunstvermittlers, wird als natürlicher Statthalter
des idealen Ganzen verstanden,26 das von einer regelästhetisch bestimmten Form nicht
mehr getragen werden kann. Durch die Deutung der Industriekultur als einer Epoche
des Verfalls wird der Blick auf eine vermeintlich noch intakte vorkapitalistische Vergan-
genheit gebahnt, die das Künstlersubjekt, gleichsam als Nachkomme des freien Bürgers
der Antike, verwaltet und aktualisiert.
Die weiteren gedanklichen Versatzstücke sind nötig, um die inthronisierte Individua-
lität nicht dem Verdacht subjektiver Willkür auszusetzen. Absolute Geltung gewinnt
sie als Träger von »Weltanschauung« (orientalisch, griechisch oder christlich), jeweils
gefiltert durch Nationalität.27 Letztere ist ein maßgebliches Fundament des »wahren
Bedürfnisses« und kontrastiert den »nichtigen«, da nicht wahrhaft empfundenen Ratio-
nalismus des kosmopolitischen Temperaments.28 Auf diesem Umweg wird nun doch
ein ökonomisches Kalkül formulierbar, das sich von den Verwertungsprinzipien des ka-
pitalistischen Banausentums frei wähnt. Eitelberger konstatiert, dass mit »der höchsten
Stufe nationellen Wohlseins und Reichthums […] auch der Gipfel der Kunst«29 er-
reicht ist, so dass umgekehrt mit der Erzielung einer neuen Kunstblüte auch die wirt-
schaftliche nicht weit scheint. Zu verhindern ist daher der Einfluss fremdländischer
Kunst.30 Das »ächte Kunstwerk«31 muss grundsätzlich, um objektiv zu sein, sich an
die Natur halten, die alle Darstellungsformen bereithält. Eitelberger schließt sich den
22 Eitelberger, Vorlesungen (zit. Anm.
7), §
64.
23 »Unendlichkeit des Kunstwerkes ist nur eine Wirkung der Unendlichkeit des Künstlers […].«
Ebenda, §
10.
24 Ebenda, §
61 : »Das Kolorit muß empfunden sein, um wahr und lebendig zu sein.«
25 Eitelberger bezieht sich häufig auf den ersten, theoretischen Einleitungsband zu Carl Friedrich von
Rumohr, Italienische Forschungen, 1827–1831. Eitelbergers Rezeption Rumohrs geht Alexander
Auf der Heydes Beitrag in diesem Band ausführlich nach.
26 Vgl. Eitelberger, Vorlesungen (zit. Anm.
7), §§
8, 9, 11, 13.
27 Ebenda, §
13.
28 Ebenda, §
26.
29 Ganz gegenteilig die historische Argumentation bei Schiller, Über die ästhetische Erziehung (zit.
Anm.
10), 10.
Brief, S.
220 f., und bei Marx, Einleitung (zit. Anm.
14), S.
640.
30 Vgl. Eitelberger, Vorlesungen (zit. Anm.
7), §
27.
31 Ebenda, §
41.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien