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Wissenschaft, Industrie und Kunst 127
zu einem pädagogisch-autoritären Ideal einer Erziehung zur Sittlichkeit darstellt, die
Perspektivlosigkeit des Bürgertums nach der gescheiterten Revolution von 1848 aus.
Diese war in Wien besonders spürbar. Nicht nur waren die bürgerlichen Emanzipati-
onsbestrebungen erfolglos, sondern zugleich war die vom Bürgertum ersehnte Schaf-
fung einer nationalen Identität misslungen. Zu allem Überfluss sah sich das selbst nicht
emanzipierte Bürgertum nunmehr in der Revolution von 1848 in Gegnerschaft geraten
zu jenen, von denen es sich Unterstützung für seine eigenen Ziele erhofft hatte, den
Arbeitern in den Vorstädten, die jetzt ihre ganz eigenen emanzipatorischen Wünsche
gegen das Bürgertum zu richten begannen. Zur selben Zeit differenzierte sich die Bour-
geoisie in das zunehmend Einfluss gewinnende industrielle Großbürgertum und das in
Bedrängnis geratende gewerbetreibende Kleinbürgertum. Den Interessen und Ängsten
des letzteren gibt Eitelberger Ausdruck.
In seiner Schrift Zur Frage der Hausindustrie von 1880 zeichnet er ein idyllisches Bild
früherer Klassengesellschaften. Er postuliert, es mache
sachlich […] keinen Unterschied, ob wie bei den Griechen und Römern die Sklaven, später
die Gesellen und andere nicht zum strengsten Kreis der Familie gehörige Personen sich an der
Hausarbeit betheiligt haben. Wurden doch die griechischen und römischen Sklaven ebenso zur
Familie gerechnet, wie die bürgerlichen Hausarbeiter des Mittelalters und der Renaissance als
Familienmitglieder betrachtet.57
Ungemütlich wird es nach Auffassung Eitelbergers erst in der Gegenwart, angesichts
eines fatalen Bündnisses zwischen Kapital und Proletarier :
Die Gefahr für das bürgerliche Gewerbe wurde erst dann eine drohende, als die Familien-
mitglieder im weitesten Sinne des Wortes dem Hause entfremdet worden sind. Denn erst
seit jener Zeit wuchs ein Arbeiterstand heran, der entfremdet von der Familie nicht in jenen
Tugenden aufgewachsen war, welche durch die Familie überhaupt begründet werden, der nicht
die Traditionen der gewerblichen Technik in sich aufnehmen konnte, besitzlos, familienlos, ja
gewissermaßen heimatlos in die Welt eingetreten ist. Und diese Gesellschaft ist es, die heuti-
gen Tages den socialistischen Ideen zugänglich ist, diese heimatlose, familienlose Gesellschaft
von Arbeitern ist es, welche der überwuchernde Capitalismus als seine Werkzeuge gebraucht,
57 R. Eitelberger von Edelberg, Zur Frage der Hausindustrie mit besonderer Berücksichtigung
österreichischer Verhältnisse, in : ders., Die Aufgaben des Zeichenunterrichtes und vier kunsthisto-
rische Aufsätze (Gesammelte kunsthistorische Schriften von Rudolf Eitelberger von Edelberg, III),
Wien 1884, S.
173–188, hier S.
183. Man stelle sich die Samstage vor, an denen die Familie Medici
gemeinsam mit ihren Hausarbeitern den Hausputz besorgte.
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien