Page - 192 - in Rudolf Eitelberger von Edelberg - Netzwerker der Kunstwelt
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192 Timo Hagen
Herrschaft in der Toskana und in Venetien 1859 bzw. 1866 reagierte.77 Dass eine vor-
schnelle unikausale Deutung allerdings fehl am Platz ist, zeigt eben die große Verbrei-
tung gerade auch von Vorbildern aus der römischen Palastarchitektur.
Die Frage, was Eitelberger bewogen haben könnte, binnen kurzer Zeit einen schein-
bar radikalen Kurswechsel hinsichtlich der Eignung italienischer Vorbilder für die
Wiener Architektur zu vollziehen, ist somit nicht leicht zu beantworten. Diana Rey-
nolds-Cordileone nimmt an, dass die »kleindeutsche Lösung« der Deutschen Frage, die
mit der Reichsgründung infolge des Deutsch-Französischen Krieges zementiert wurde,
deutschliberal orientierte Österreicher wie Eitelberger in eine Identitätskrise gestürzt
hätte.78 Wiener Kunsttheoretiker um Eitelberger hätten daraufhin die ›Wiener Renais-
sance‹ als Teil eines transnationalen Identitätsangebots der Donaumonarchie propa-
giert. Als maßgebliches Gegenbild hätte dabei das Konzept einer national aufgefassten
›deutschen Renaissance‹ fungiert, wobei Reynolds-Cordileone die Popularisierung die-
ses Stils auf der »Allgemeinen Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung alter und neuer
deutscher Meister sowie der deutschen Kunstschulen« in München von 1876 als ent-
scheidenden Anstoß ausmacht.79
Dem ist entgegenzuhalten, dass die deutschnationale Haltung Eitelbergers, wie ge-
sehen, weder durch den Krieg noch durch die Reichsgründung beeinträchtigt, ja eher
noch befördert wurde. Die Wahl der Vorbilder für die ›Wiener Renaissance‹ begründete
er nicht zuletzt aus der Bildungstradition des »deutschen Volkes« heraus. Das Stilkon-
zept war eine Kopfgeburt des deutschliberalen Wiener Bildungsbürgertums, das einen
Anspruch auf kulturelle Hegemonie und Führung der Gesamtmonarchie erhob, der sich
77 Ein paralleles Phänomen zeigt sich in der Kunstgeschichtsschreibung Eitelbergers zum Friaul nach
dem Verlust des Gebiets an das vereinigte Italien (vgl. Auf der Heyde, Il Friuli [zit. Anm. 23],
S. 26). – Andreas Gottsmann, der seine Studie zur Kunstpolitik in der Donaumonarchie vorrangig
auf Archivbestände stützt, die die Tätigkeit der Zentralbehörden dokumentieren, und Kunst und
Architektur sowie diese betreffende zeitgenössische Publikationen und aktuelle Sekundärliteratur
weitgehend außer Acht lässt, kommt zu einem völlig anderen, erstaunlichen Ergebnis : Er konsta-
tiert eine »Marginalisierung der Identità italo-austriaca nach 1866«, die »negative Rückwirkungen
auf die Realisierung einer überregionalen habsburgischen Gesamtstaatsidee« gehabt habe (Gotts-
mann, Staatskunst oder Kulturstaat [zit. Anm. 47], S. 29). Demnach wurde ein kulturelles Entge-
genkommen gegenüber den Italienern, die nach dem Verlust Lombardo-Venetiens auf Reichsgebiet
verblieben waren, in der Verwaltung als zu riskant gewertet (ebenda, S. 28). – Versucht man, beide
Befunde zusammen zu denken, ergibt sich eine aus Sicht dieser Italiener reichlich absurde Situa-
tion : Während ihre kulturelle Autonomie nach 1866 keine weitere Förderung staatlicherseits erhielt,
wurde »ihr« Architekturerbe zur idealen Verkörperung Wiener Wesensart und damit des Reiches
erhoben.
78 Reynolds-Cordileone, Austrian Museum (zit. Anm.
47), S.
126 f.
79 Ebenda, S.
123 f., S.
128, S.
140 f.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien