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196 Timo Hagen
die angebliche Fähigkeit des »Wiener Volkscharakters«, Externes, namentlich das geis-
tige Gut »anderer deutscher Stämme«, zu domestizieren, dazu dienen, ein Fortleben des
›großdeutschen Gedankens‹ in Wien zu insinuieren, während er »dem Berliner« geis-
tigen Partikularismus unterstellte.93 Das Einsetzen des Kulturkampfes im Deutschen
Reich im Laufe des Jahres 1871 dürfte für die in der Architekturkritik hervortretende
katholisch-protestantische Polarisierung keine Rolle gespielt haben, war Eitelberger als
Liberaler doch alles andere als klerikal gesinnt.94
Wie wenig relevant die Baugestalt selbst für Eitelbergers Architekturkritik bisweilen
war, veranschaulicht im Übrigen der Fall des Gebäudes der Ungarischen Akademie der
Wissenschaften in Budapest von 1862–1865 (Abb. 6). Am vom Berliner Architekten
Friedrich August Stüler entworfenen Akademiebau beobachtete Eitelberger den »küh-
len Classicismus der Berliner Schule«,95 obgleich diese dekorreiche und plastisch stark
durchgebildete Adaption venezianischer Seicento-Architektur mit Berliner Bauten der
Nachschinkelzeit wie Stülers ab 1843 erbautem Neuem Museum (Abb. 7) kaum etwas
gemein hat. Maßgeblich für das Urteil dürfte der Ärger darüber gewesen sein, dass im
nach Autonomie strebenden Ungarn dieser Repräsentationsbau nicht nach einem Alter-
nativentwurf Heinrich Ferstels ausgeführt wurde.96 Dem aus dem Wiener Bürgertum
stammenden Entwerfer des Österreichischen Museums attestierte Eitelberger, »als Archi-
tekt der echteste Ausdruck des heutigen österreichischen Volksstammes« zu sein.97 Dass
Eitelbergers Konzept einer dem Berliner Bauwesen überlegenen ›Wiener Renaissance‹
dort nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß, verwundert kaum. So wurde sein gleichna-
miger Beitrag in der Berliner Deutschen Bauzeitung mit dem distanzierend-spöttischen
Vorsatz eingeleitet, es handele sich um Eitelbergers »Glaubensbekenntnis«.98
Die Planungs- und Bauphase des Österreichischen Museums 1866–1871, in welche
Eitelberger als Museumsdirektor maßgeblich involviert war, fällt, dies sei abschließend
nochmals unterstrichen, wohl nicht von ungefähr mit seinem Sinneswandel hinsicht-
lich der Vorbildhaftigkeit italienischer Renaissanceformen zusammen. Der rund einen
im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge aus österreichischer und ungarischer Sicht (Zentraleuropa-
studien, 4, hg. von G.
R. Plaschka), Wien 1997, S.
145–174, hier S.
172.
93 Eitelberger, Friedrich Schmidt (zit. Anm.
44), S.
389.
94 Vgl. etwa Rampley, The Idea of a Scientific Discipline (zit. Anm.
5), S.
60 f.
95 Eitelberger, Heinrich Ferstel (zit. Anm.
62), S.
295.
96 Vgl. ebenda.
97 Ebenda, S. 338. – Zum (freundschaftlichen) Verhältnis Eitelbergers und Ferstels siehe ferner : R.
Wagner-Rieger, Heinrich von Ferstel – Rudolf von Eitelberger, in : Tausend Jahre Österreich.
Eine biographische Chronik, 2 : Vom Biedermeier bis zur Gründung der modernen Parteien (hg.
von W. Pollak), Wien/München 1973, S.
298–302.
98 [Eitelberger], Die Renaissance in Wien (zit. Anm.
4), S.
10.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien