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Rudolf von Eitelberger
– Architekturkritik 203
Diese normativen Epochenkonzepte wurden von Eitelberger entsprechend dem sich
aus der aktuellen politischen Konstellation ergebenden Argumentationsbedarf näher
ausgedeutet. Das Paradebeispiel hierfür sind seine Äußerungen zu klassizistischer Ar-
chitektur, die Eitelberger regelmäßig als auf archäologischem Kopistentum basierende,
karge Einheitsarchitektur beschrieb. Sie bildete damit das Gegenbild zu einem von ihm
favorisierten historisierenden Stilpluralismus, der differenzierte Bauaussagen ermög-
liche und künstlerische Individualität zulasse, wodurch er modernen Anforderungen
gerecht werden könne. Dieser Klassizismus konnte mal als Sinnbild der repressiv-zen-
tralistischen Politik des Metternich’schen Systems fungieren, mal als »Ausartung des
Sozialismus und Kommunismus«118 der Französischen Revolution gelten und mal Ste-
reotype von preußisch-protestantischer Nüchternheit bestätigen.
Solcherlei situativ eingesetzte politische Positionierungen fußten auf einem Selbst-
verständnis Eitelbergers, das während des gesamten Untersuchungszeitraums von der
Zeit der Revolution 1848/49 bis zum Ende der 1870er Jahre weitgehend konstant ge-
wesen zu sein scheint. In diesem Selbstverständnis verbanden sich bildungsbürgerliche
Ideale mit liberalen, die konstitutionelle Monarchie unter Führung des Hauses Habs-
burg favorisierenden politischen Ideen und der Überzeugung, als Teil einer deutschen
Kulturelite für die innere Stabilität und das äußere Ansehen Österreichs verantwortlich
zu sein. Eitelberger sah sich selbst als Teil einer großdeutschen Kulturgemeinschaft, der
er eine hegemoniale Stellung innerhalb des Habsburger Reichs beimaß.
Zur Zeit des Neoabsolutismus forderte Eitelberger 1853 für den zeitgenössischen
Kirchenbau eine Orientierung an heimischen Vorbildern des Mittelalters, wie dies in
Deutschland seit der Romantik praktiziert wurde. Das Aufdecken gemeinsamer Tradi-
tionen sollte den angeblichen Isolationismus der Restaurationszeit mit ihrer klassizisti-
schen Architektur überwinden und großdeutsches Bewusstsein fördern.119 Sein Postulat
einer Hegemonie deutscher Kultur in Mitteleuropa richtete sich auch gegen die Natio-
nalbewegungen der nichtdeutschen Untertanen des Habsburger Reichs, die als Gefahr
für dessen Integrität wahrgenommen wurden.
Nach der Zementierung der ›kleindeutschen Lösung‹ der Deutschen Frage 1871
begannen Stereotype von lokal, regional und konfessionell bedingten Ausprägungen
dieses Deutschtums eine größere Rolle in Eitelbergers Denken zu spielen und fanden
ihren prägendsten Ausdruck im Konzept der ›Wiener Renaissance‹. Dessen versuchs-
weise Deutung als kulturrevisionistische Offensive in Reaktion auf das Ende der habs-
burgischen Herrschaft in der Toskana und in Venetien 1859 bzw. 1866 bedarf einer
118 Eitelberger, Kirchliche Architektur (zit. Anm.
3), S.
12.
119 Eitelberger beklagte eine Abtrennung Österreichs vom Geistesleben in Deutschland in der Restau-
rationszeit (Springer, Wiener Ringstraße [zit. Anm.
25], S.
30, S.
32, S.
431).
Rudolf Eitelberger von Edelberg
Netzwerker der Kunstwelt
- Title
- Rudolf Eitelberger von Edelberg
- Subtitle
- Netzwerker der Kunstwelt
- Authors
- Julia Rüdiger
- Eva Kernbauer
- Kathrin Pokorny-Nagel
- Raphael Rosenberg
- Patrick Werkner
- Tanja Jenni
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20925-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 562
- Category
- Biographien