Page - 8 - in Schachnovelle
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gelebt haben? Dieser Bursche weiß in seinem vermauerten Gehirn nur das
eine, daß er seit Monaten nicht eine einzige Schachpartie verloren hat, und da
er eben nicht ahnt, daß es außer Schach und Geld noch andere Werte auf
unserer Erde gibt, hat er allen Grund, von sich begeistert zu sein.«
Diese Mitteilungen meines Freundes verfehlten nicht, meine besondere
Neugierde zu erregen. Alle Arten von monomanischen, in eine einzige Idee
verschossenen Menschen haben mich zeitlebens angereizt, denn je mehr sich
einer begrenzt, um so mehr ist er andererseits dem Unendlichen nahe; gerade
solche scheinbar Weltabseitigen bauen in ihrer besonderen Materie sich
termitenhaft eine merkwürdige und durchaus einmalige Abbreviatur der Welt.
So machte ich aus meiner Absicht, dieses sonderbare Spezimen intellektueller
Eingleisigkeit auf der zwölftägigen Fahrt bis Rio näher unter die Lupe zu
nehmen, kein Hehl.
Jedoch: »Da werden Sie wenig Glück haben«, warnte mein Freund. »Soviel
ich weiß, ist es noch keinem gelungen, aus Czentovic das geringste an
psychologischem Material herauszuholen. Hinter all seiner abgründigen
Beschränktheit verbirgt dieser gerissene Bauer die große Klugheit, sich keine
Blößen zu geben, und zwar dank der simplen Technik, daß er außer mit
Landsleuten seiner eigenen Sphäre, die er sich in kleinen Gasthäusern
zusammensucht, jedes Gespräch vermeidet. Wo er einen gebildeten Menschen
spürt, kriecht er in sein Schneckenhaus; so kann niemand sich rühmen, je ein
dummes Wort von ihm gehört oder die angeblich unbegrenzte Tiefe seiner
Unbildung ausgemessen zu haben.« Mein Freund sollte in der Tat recht
behalten. Während der ersten Tage der Reise erwies es sich als vollkommen
unmöglich, an Czentovic ohne grobe Zudringlichkeit, die schließlich nicht
meine Sache ist, heranzukommen. Manchmal schritt er zwar über das
Promenadendeck, aber dann immer die Hände auf dem Rücken verschränkt
mit jener stolz in sich versenkten Haltung, wie Napoleon auf dem bekannten
Bilde; außerdem erledigte er immer so eilig und stoßhaft seine peripatetische
Deckrunde, daß man ihm hätte im Trab nachlaufen müssen, um ihn
ansprechen zu können. In den Gesellschaftsräumen wiederum, in der Bar, im
Rauchzimmer zeigte er sich niemals; wie mir der Steward auf vertrauliche
Erkundigung hin mitteilte, verbrachte er den Großteil des Tages in seiner
Kabine, um auf einem mächtigen Brett Schachpartien einzuüben oder zu
rekapitulieren.
Nach drei Tagen begann ich mich tatsächlich zu ärgern, daß seine zähe
Abwehrtechnik geschickter war als mein Wille, an ihn heranzukommen. Ich
hatte in meinem Leben noch nie Gelegenheit gehabt, die persönliche
Bekanntschaft eines Schachmeisters zu machen, und je mehr ich mich jetzt
bemühte, mir einen solchen Typus zu personifizieren, um so unvorstellbarer
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik