Page - 16 - in Schachnovelle
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konnte, mußte ein Fachmann ersten Ranges sein, vielleicht sogar ein
Konkurrent um die Meisterschaft, der zum gleichen Turnier reiste, und sein
plötzliches Kommen und Eingreifen gerade in einem so kritischen Moment
hatte etwas fast Übernatürliches. Als erster faßte sich McConnor.
»Was würden Sie raten?« flüsterte er aufgeregt.
»Nicht gleich vorziehen, sondern zunächst ausweichen! Vor allem mit dem
König abrücken aus der gefährdeten Linie von g8 auf h7. Er wird
wahrscheinlich den Angriff dann auf die andere Flanke hinüberwerfen. Aber
das parieren Sie mit Turm c8-c4; das kostet ihn zwei Tempi, einen Bauern
und damit die Überlegenheit. Dann steht Freibauer gegen Freibauer, und
wenn Sie sich richtig defensiv halten, kommen Sie noch auf Remis. Mehr ist
nicht herauszuholen.«
Wir staunten abermals. Die Präzision nicht minder als die Raschheit sei er
Berechnung hatte etwas Verwirrendes; es war, als ob er die Züge aus einem
gedruckten Buch ablesen würde. Immerhin wirkte die unvermutete Chance,
dank seines Eingreifens unsere Partie gegen einen Weltmeister auf Remis zu
bringen, zauberisch. Einmütig rückten wir zur Seite, um ihm freieren Blick
auf das Brett zu gewähren. Noch einmal fragte McConnor:
»Also König g8 auf h7?«
»Jawohl! Ausweichen vor allem!«
McConnor gehorchte, und wir klopften an das Glas. Czentovic trat mit
seinem gewohnt gleichmütigen Schritt an unseren Tisch und maß mit einem
einzigen Blick den Gegenzug. Dann zog er auf dem Königsflügel den Bauern
h2-h4, genau wie es unser unbekannter Helfer vorausgesagt. Und schon
flüsterte dieser aufgeregt:
»Turm vor, Turm vor, c8 auf c4, er muß dann zuerst den Bauern decken.
Aber das wird ihm nichts helfen! Sie schlagen, ohne sich um seinen
Freibauern zu kümmern, mit dem Springer d3-e5, und das Gleichgewicht ist
wiederhergestellt. Den ganzen Druck vorwärts, statt zu verteidigen!«
Wir verstanden nicht, was er meinte. Für uns war, was er sagte, Chinesisch.
Aber schon einmal in seinem Bann, zog McConnor, ohne zu überlegen, wie
jener geboten. Wir schlugen abermals an das Glas, um Czentovic
zurückzurufen. Zum ersten Male entschied er sich nicht rasch, sondern blickte
gespannt auf das Brett. Unwillkürlich schoben sich seine Brauen zusammen.
Dann tat er genau den Zug, den der Fremde uns angekündigt, und wandte sich
zum Gehen. jedoch ehe er zurücktrat, geschah etwas Neues und Unerwartetes.
Czentovic hob den Blick und musterte unsere Reihen- offenbar wollte er
herausfinden, wer ihm mit einem Male so energischen Widerstand leistete.
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik