Page - 17 - in Schachnovelle
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Von diesem Augenblick an wuchs unsere Erregung ins Ungemessene.
Bisher hatten wir ohne ernstliche Hoffnung gespielt, nun aber trieb der
Gedanke, den kalten Hochmut Czentovics zu brechen, uns eine fliegende
Hitze durch alle Pulse. Schon aber hatte unser neuer Freund den nächsten Zug
angeordnet, und wir konnten - die Finger zitterten mir, als ich den Löffel an
das Glas schlug - Czentovic zurückrufen. Und nun kam unser erster Triumph.
Czentovic, der bisher immer nur im Stehen gespielt, zögerte, zögerte und
setzte sich schließlich nieder. Er setzte sich langsam und schwerfällig; damit
aber war schon rein körperlich das bisherige Von-oben-herab zwischen ihm
und uns aufgehoben. Wir hatten ihn genötigt, sich wenigstens räumlich auf
eine Ebene mit uns zu begeben. Er überlegte lange, die Augen unbeweglich
auf das Brett gesenkt, so daß man kaum mehr die Pupillen unter den
schwarzen Lidern wahrnehmen konnte, und im angestrengten Nachdenken
öffnete sich ihm allmählich der Mund, was seinem runden Gesicht ein etwas
einfältiges Aussehen gab. Czentovic überlegte einige Minuten, dann tat er
seinen Zug und stand auf. Und schon flüsterte unser Freund:
»Ein Hinhaltezug! Gut gedacht! Aber nicht darauf eingehen! Abtausch
forcieren, unbedingt Abtausch, dann können wir auf Remis, und kein Gott
kann ihm helfen.«
McConnor gehorchte. Es begann in den nächsten Zügen zwischen den
beiden - wir andern waren längst zu leeren Statisten herabgesunken - ein uns
unverständliches Hin und Her. Nach etwa sieben Zügen sah Czentovic nach
längerem Nachdenken auf und erklärte: »Remis.«
Einen Augenblick herrschte totale Stille. Man hörte plötzlich die Wellen
rauschen und das Radio aus dem Salon herüberjazzen, man vernahm jeden
Schritt vom Promenadendeck und das leise, feine Sausen des Winds, der
durch die Fugen der Fenster fuhr. Keiner von uns atmete, es war zu plötzlich
gekommen und wir alle noch geradezu erschrocken über das
Unwahrscheinliche, daß dieser Unbekannte dem Weltmeister in einer schon
halb verlorenen Partie seinen Willen aufgezwungen haben sollte. McConnor
lehnte sich mit einem Ruck zurück, der zurückgehaltene Atem fuhr ihm
hörbar in einem beglückten »Ah!«von den Lippen. Ich wiederum beobachtete
Czentovic. Schon bei den letzten Zügen hatte mir geschienen, als ob er
blässer geworden sei. Aber er verstand sich gut zusammenzuhalten. Er
verharrte in seiner scheinbar gleichmütigen Starre und fragte nur in lässigster
Weise, während er die Figuren mit ruhiger Hand vom Brette schob:
»Wünschen die Herren noch eine dritte Partie?«
Er stellte die Frage rein sachlich, rein geschäftlich. Aber das Merkwürdige
war: er hatte dabei nicht McConnor angeblickt, sondern scharf und gerade das
Auge gegen unseren Retter gehoben. Wie ein Pferd am festeren Sitz einen
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik