Page - 19 - in Schachnovelle
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sehen. Mit einemmal war über uns friedliche, lässige Bordbewohner eine
wilde, ehrgeizige Kampflust gekommen, denn der Gedanke, daß gerade auf
unserem Schiff mitten auf dem Ozean dem Schachmeister die Palme
entrungen werden könnte - ein Rekord, der dann von allen Telegraphenbüros
über die ganze Welt hingeblitzt würde - faszinierte uns in herausforderndster
Weise. Dazu kam noch der Reiz des Mysteriösen, der von dem unerwarteten
Eingreifen unseres Retters gerade im kritischen Momente ausging, und der
Kontrast seiner fast ängstlichen Bescheidenheit mit dem unerschütterlichen
Selbstbewußtsein des Professionellen. Wer war dieser Unbekannte? Hatte hier
der Zufall ein noch unentdecktes Schachgenie zutage gefördert? Oder verbarg
uns aus einem unerforschlichen Grunde ein berühmter Meister seinen
Namen? Alle diese Möglichkeiten erörterten wir in aufgeregtester Weise,
selbst die verwegensten Hypothesen waren uns nicht verwegen genug, um die
rätselhafte Scheu und das überraschende Bekenntnis des Fremden mit seiner
doch unverkennbaren Spielkunst in Einklang zu bringen. In einer Hinsicht
jedoch blieben wir alle einig: keinesfalls auf das Schauspiel eines neuerlichen
Kampfes zu verzichten. Wir beschlossen, alles zu versuchen, damit unser
Helfer am nächsten Tage eine Partie gegen Czentovic spiele, für deren
materielles Risiko McConnor aufzukommen sich verpflichtete. Da sich
inzwischen durch Umfrage beim Steward herausgestellt hatte, daß der
Unbekannte ein Österreicher sei, wurde mir als seinem Landsmann der
Auftrag zugeteilt, ihm unsere Bitte zu unterbreiten.
Ich benötigte nicht lange, um auf dem Promenadendeck den so eilig
Entflüchteten aufzufinden. Er lag auf seinem Deckchair und las. Ehe ich auf
ihn zutrat, nahm ich die Gelegenheit wahr, ihn zu betrachten. Der
scharfgeschnittene Kopf ruhte in der Haltung leichter Ermüdung auf dem
Kissen-, abermals fiel mir die merkwürdige Blässe des verhältnismäßig
jungen Gesichtes besonders auf, dem die Haare blendend weiß die Schläfen
rahmten; ich hatte, ich weiß nicht warum, den Eindruck, dieser Mann müsse
plötzlich gealtert sein. Kaum ich auf ihn zutrat, erhob er sich höflich und
stellte sich mit einem Namen vor, der mir sofort vertraut war als der einer
hochangesehenen altösterreichischen Familie. Ich erinnerte mich, daß ein
Träger dieses Namens zu dem engsten Freundeskreise Schuberts gehört hatte
und auch einer der Leibärzte des alten Kaisers dieser Familie entstammte. Als
ich Dr. B. unsere Bitte übermittelte, die Herausforderung Czentovics
anzunehmen, war er sichtlich verblüfft. Es erwies sich, daß er keine Ahnung
gehabt hatte, bei jener Partie einen Weltmeister, und gar den zur Zeit
erfolgreichsten, ruhmreich bestanden zu haben. Aus irgendeinem Grunde
schien diese Mitteilung auf ihn besonderen Eindruck zu machen, denn er
erkundigte sich immer und immer wieder von neuem, ob ich dessen gewiß
sei, daß sein Gegner tatsächlich ein anerkannter Weltmeister gewesen. Ich
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik