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Vorgängen nichts zu sehen; aber durch einen unglücklichen Zufall mußte der
ehrgeizige und eitle Bursche bemerkt haben, daß man ihm mißtraute und
hinter seinem Rücken allerlei Interessantes geschah. Vielleicht hat einmal in
meiner Abwesenheit einer der Kuriere unvorsichtigerweise von ›Seiner
Majestät‹ gesprochen, statt, wie vereinbart, vom ›Baron Fern‹, oder der Lump
mußte Briefe widerrechtlich geöffnet haben - jedenfalls holte er sich, ehe ich
Verdacht schöpfen konnte, von München oder Berlin Auftrag, uns zu
überwachen. Erst viel später, als ich längst in Haft saß, erinnerte ich mich,
daß seine anfängliche Lässigkeit im Dienst sich in den letzten Monaten in
plötzlichen Eifer verwandelt und er sich mehrfach beinahe zudringlich
angeboten hatte, meine Korrespondenz zur Post zu bringen. Ich kann mich
von einer gewissen Unvorsichtigkeit also nicht freisprechen, aber sind
schließlich nicht auch die größten Diplomaten und Militärs von der Hitlerei
heimtückisch überspielt worden? Wie genau und liebevoll die Gestapo mir
längst ihre Aufmerksamkeit zugewandt hatte, erwies dann äußerst
handgreiflich der Umstand, daß noch am selben Abend, da Schuschnigg seine
Abdankung bekanntgab, und einen Tag, ehe Hitler in Wien einzog, ich bereits
von SS-Leuten festgenommen war. Die allerwichtigsten Papiere war es mir
glücklicherweise noch gelungen zu verbrennen, kaum ich im Radio die
Abschiedsrede Schuschniggs gehört, und den Rest der Dokumente mit den
unentbehrlichen Belegen für die im Ausland deponierten Vermögenswerte der
Klöster und zweier Erzherzöge schickte ich wirklich in der letzten Minute,
ehe die Burschen mir die Tür einhämmerten in einem Waschkorb versteckt
durch meine alte, verläßliche Haushälterin zu meinem Onkel hinüber.«
Dr. B. unterbrach, um sich eine Zigarre anzuzünden. Bei dem
aufflackernden Licht bemerkte ich, daß ein nervöses Zucken um seinen
rechten Mundwinkel lief, das mir schon vorher aufgefallen war und, wie ich
beobachten konnte, sich jede paar Minuten wiederholte. Es war nur eine
flüchtige Bewegung, kaum stärker als ein Hauch, aber sie gab dem ganzen
Gesicht eine merkwürdige Unruhe.
»Sie vermuten nun wahrscheinlich, daß ich Ihnen jetzt vom
Konzentrationslager erzählen werde, in das doch alle jene übergeführt
wurden, die unserem alten Österreich die Treue gehalten, von den
Erniedrigungen, Martern, Torturen, die ich dort erlitten. Aber nichts
dergleichen geschah. Ich kam in eine andere Kategorie. Ich wurde nicht zu
jenen Unglücklichen getrieben, an denen man mit körperlichen und seelischen
Erniedrigungen ein lang aufgespartes Ressentiment austobte, sondern jener
anderen, ganz kleinen Gruppe zugeteilt, aus der die Nationalsozialisten
entweder Geld oder wichtige Informationen herauszupressen hofften. An sich
war meine bescheidene Person natürlich der Gestapo völlig uninteressant. Sie
mußten aber erfahren haben, daß wir die Strohmänner, die Verwalter und
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book Schachnovelle"
Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik