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Vertrauten ihrer erbittertsten Gegner gewesen, und was sie von mir zu
erpressen hofften, war belastendes Material: Material gegen die Klöster,
denen sie Vermögensverschiebungen nachweisen wollten, Material gegen die
kaiserliche Familie und all jene die in Österreich sich aufopfernd für die
Monarchie eingesetzt. Sie vermuteten - und wahrhaftig nicht zu Unrecht -daß
von jenen Fonds, die durch unsere Hände gegangen waren, wesentliche
Bestände sich noch, ihrer Raublust unzugänglich, versteckten; sie holten mich
darum gleich am ersten Tag heran, um mit ihren bewährten Methoden mir
diese Geheimnisse abzuzwingen. Leute meiner Kategorie, aus denen
wichtiges Material oder Geld herausgepreßt werden sollte, wurden deshalb
nicht in Konzentrationslager abgeschoben, sondern für eine besondere
Behandlung aufgespart. Sie erinnern sich vielleicht, daß unser Kanzler und
anderseits der Baron Rothschild, dessen Verwandten sie Millionen
abzunötigen hofften, keineswegs hinter Stacheldraht in ein Gefangenenlager
gesetzt wurden, sondern unter scheinbarer Bevorzugung in ein Hotel, das
Hotel Metropole, das zugleich Hauptquartier der Gestapo war, überführt, wo
jeder ein abgesondertes Zimmer erhielt. Auch mir unscheinbarem Mann
wurde diese Auszeichnung erwiesen.
Ein eigenes Zimmer in einem Hotel - nicht wahr, das klingt an sich äußerst
human? Aber Sie dürfen mir glauben, daß man uns keineswegs eine
humanere, sondern nur eine raffiniertere Methode zudachte, wenn man uns
›Prominente‹ nicht zu zwanzig in eine eiskalte Baracke stopfte, sondern in
einem leidlich geheizten und separaten Hotelzimmer behauste. Denn die
Pression, mit der man uns das benötigte ›Material‹ abzwingen wollte, sollte
auf subtilere Weise funktionieren als durch rohe Prügel oder körperliche
Folterung: durch die denkbar raffinierteste Isolierung. Man tat uns nichts man
stellte uns nur in das vollkommene Nichts, denn bekanntlich erzeugt kein
Ding auf Erden einen solchen Druck auf die menschliche Seele wie das
Nichts. Indem man uns jeden einzeln in ein völliges Vakuum sperrte, in ein
Zimmer, das hermetisch von der Außenwelt abgeschlossen war, sollte, statt
von außen durch Prügel und Kälte, jener Druck von innen erzeugt werden, der
uns schließlich die Lippen aufsprengte. Auf den ersten Blick sah das mir
zugewiesene Zimmer durchaus nicht unbehaglich aus. Es hatte eine Tür, ein
Bett, einen Sessel, eine Waschschüssel, ein vergittertes Fenster. Aber die Tür
blieb Tag und Nacht verschlossen, auf dem Tisch durfte kein Buch, keine
Zeitung, kein Blatt Papier, kein Bleistift liegen, das Fenster starrte eine
Feuermauer an; rings um mein Ich und selbst an meinem eigenen Körper war
das vollkommene Nichts konstruiert. Man hatte mir jeden Gegenstand
abgenommen, die Uhr, damit ich nicht wisse um die Zeit, den Bleistift, daß
ich nicht etwa schreiben könne, das Messer, damit ich mir nicht die Adern
öffnen könne; selbst die kleinste Betäubung wie eine Zigarette wurde mir
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik