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Schachnovelle
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sie der GĂŒrtel hielt, und von dort allmĂ€hlich hinĂŒber an die HĂŒfte, damit ich es beim Gehen mit der Hand militĂ€risch an der Hosennaht festhalten könnte. Nun galt es die erste Probe. Ich trat von der Garderobe weg, einen Schritt, zwei Schritte, drei Schritte. Es ging. Es war möglich, das Buch im Gehen festzuhalten, wenn ich nur die Hand fest an den GĂŒrtel preßte. Dann kam die Vernehmung. Sie erforderte meinerseits mehr Anstrengung als je, denn eigentlich konzentrierte ich meine ganze Kraft, wĂ€hrend ich antwortete, nicht auf meine Aussage, sondern vor allem darauf, das Buch unauffĂ€llig festzuhalten. GlĂŒcklicherweise fiel das Verhör diesmal kurz aus, und ich brachte das Buch heil in mein Zimmer - ich will Sie nicht aufhalten mit all den Einzelheiten, denn einmal rutschte es von der Hose gefĂ€hrlich ab mitten im Gang, und ich mußte einen schweren Hustenanfall simulieren, um mich niederzubĂŒcken und es wieder heil unter den GĂŒrtel zurĂŒckzuschieben. Aber welch eine Sekunde dafĂŒr, als ich damit in meine Hölle zurĂŒcktrat, endlich allein und doch nicht mehr allein! Nun vermuten Sie wahrscheinlich, ich hĂ€tte sofort das Buch gepackt, betrachtet, gelesen. Keineswegs! Erst wollte ich die Vorlust auskosten, daß ich ein Buch bei mir hatte, die kĂŒnstlich verzögernde und meine Nerven wunderbar erregende Lust, mir auszutrĂ€umen, welche Art Buch dies gestohlene am liebsten sein sollte: sehr eng gedruckt vor allem, viele, viele Lettern enthaltend, viele, viele dĂŒnne BlĂ€tter, damit ich lĂ€nger daran zu lesen hĂ€tte. Und dann wĂŒnschte ich mir, es sollte ein Werk sein, das mich geistig anstrengte, nichts Flaches, nichts Leichtes, sondern etwas, das man lernen, auswendig lernen konnte, Gedichte, und am besten - welcher verwegene Traum! - Goethe oder Homer. Aber schließlich konnte ich meine Gier, meine Neugier nicht lĂ€nger verhalten. Hingestreckt auf das Bett, so daß der WĂ€rter, wenn er plötzlich die TĂŒr aufmachen sollte, mich nicht ertappen könnte, zog ich zitternd unter dem GĂŒrtel den Band heraus. Der erste Blick war eine EnttĂ€uschung und sogar eine Art erbitterter Ärger: dieses mit so ungeheurer Gefahr erbeutete, mit so glĂŒhender Erwartung aufgesparte Buch war nichts anderes als ein Schachrepetitorium, eine Sammlung von hundertfĂŒnfzig Meisterpartien. WĂ€re ich nicht verriegelt, verschlossen gewesen, ich hĂ€tte im ersten Zorn das Buch durch ein offenes Fenster geschleudert, denn was sollte, was konnte ich mit diesem Nonsens beginnen? Ich hatte als Knabe im Gymnasium wie die meisten anderen mich ab und zu aus Langeweile vor einem Schachbrett versucht. Aber was sollte mir dieses theoretische Zeug? Schach kann man doch nicht spielen ohne einen Partner und schon gar nicht ohne Steine, ohne Brett. Verdrossen blĂ€tterte ich die Seiten durch, um vielleicht dennoch etwas Lesbares zu entdecken, eine Einleitung, eine Anleitung; aber ich fand nichts als die nackten quadratischen 29
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Schachnovelle
Title
Schachnovelle
Author
Stefan Zweig
Date
1942
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
46
Keywords
Literatur, Unterricht, Schriftsteller
Categories
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