Page - 36 - in Schachnovelle
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meinen Lidern, lag so warm und wohltätig auf ihnen, daß ich mich zuerst gar
nicht entschließen konnte, die Augen aufzutun. Minuten lag ich schon wach
und genoß noch diese schwere Dumpfheit, dies laue Liegen mit wollüstig
betäubten Sinnen. Auf einmal war mir, als ob ich hinter mir Stimmen hörte,
lebendige menschliche Stimmen, die Worte sprachen, und Sie können sich
mein Entzücken nicht ausdenken, denn ich hatte doch seit Monaten, seit bald
einem Jahr keine anderen Worte gehört als die harten, scharfen und bösen von
der Richterbank. ›Du träumst(, sagte ich mir. ›Du träumst! Tu keinesfalls die
Augen auf! Laß ihn noch dauern, diesen Traum, sonst siehst du wieder die
verfluchte Zelle um dich, den Stuhl und den Waschtisch und den Tisch und
die Tapete mit dem ewig gleichen Muster. Du träumst - träume weiter!‹
Aber die Neugier behielt die Oberhand. Ich schlug langsam und vorsichtig
die Lider auf. Und Wunder: es war ein anderes Zimmer, in dem ich mich
befand, ein Zimmer, breiter, geräumiger als meine Hotelzelle. Ein
ungegittertes Fenster ließ freies Licht herein und einen Blick auf Bäume,
grüne, im Wind wogende Bäume statt meiner starren Feuermauer, weiß und
glatt glänzten die Wände, weiß und hoch hob sich über mir die Decke -
wahrhaftig, ich lag in einem neuen, einem fremden Bett, und wirklich, es war
kein Traum, hinter mir flüsterten leise menschliche Stimmen. Unwillkürlich
muß ich mich in meiner Überraschung heftig geregt haben, denn schon hörte
ich hinter mir einen nahenden Schritt. Eine Frau kam weichen Gelenks heran,
eine Frau mit weißer Haube über dem Haar, eine Pflegerin, eine Schwester.
Ein Schauer des Entzückens fiel über mich: ich hatte seit einem Jahr keine
Frau gesehen. Ich starrte die holde Erscheinung an, und es muß ein wilder,
ekstatischer Aufblick gewesen sein, denn ›Ruhig! Bleiben Sie ruhig!‹
beschwichtigte mich dringlich die Nahende. Ich aber lauschte nur auf ihre
Stimme - war das nicht ein Mensch, der sprach? Gab es wirklich noch auf
Erden einen Menschen, der mich nicht verhörte, nicht quälte? Und dazu noch
- unfaßbares Wunder! - eine weiche, warme, eine fast zärtliche Frauenstimme.
Gierig starrte ich auf ihren Mund, denn es war mir in diesem Höllenjahr
unwahrscheinlich geworden, daß ein Mensch gütig zu einem andern sprechen
könnte. Sie lächelte mir zu - ja, sie lächelte, es gab noch Menschen, die gütig
lächeln konnten -, dann legte sie den Finger mahnend auf die Lippen und ging
leise weiter. Aber ich konnte ihrem Gebot nicht gehorchen. Ich hatte mich
noch nicht sattgesehen an dem Wunder. Gewaltsam versuchte ich mich in
dem Bette aufzurichten, um ihr nachzublicken, diesem Wunder eines
menschlichen Wesens nachzublicken, das gütig war. Aber wie ich mich am
Bettrande aufstützen wollte, gelang es mir nicht. Wo sonst meine rechte Hand
gewesen, Finger und Gelenk, spürte ich etwas Fremdes, einen dicken, großen,
weißen Bausch, offenbar einen umfangreichen Verband. Ich staunte dieses
Weiße, Dicke, Fremde an meiner Hand zuerst verständnislos an, dann begann
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik