Page - 37 - in Schachnovelle
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ich langsam zu begreifen, wo ich war, und zu überlegen, was mit mir
geschehen sein mochte. Man mußte mich verwundet haben, oder ich hatte
mich selbst an der Hand verletzt. Ich befand mich in einem Hospital.
Mittags kam der Arzt, ein freundlicher älterer Herr. Er kannte den Namen
meiner Familie und erwähnte derart respektvoll meinen Onkel, den
kaiserlichen Leibarzt, daß mich sofort das Gefühl überkam, er meine es gut
mit mir. Im weiteren Verlauf richtete er allerhand Fragen an mich, vor allem
eine, die mich erstaunte - ob ich Mathematiker sei oder Chemiker. Ich
verneinte.
›Sonderbar‹, murmelte er. ›Im Fieber haben Sie immer so sonderbare
Formeln geschrien - c3, c4. Wir haben uns alle nicht ausgekannt. ‹
Ich erkundigte mich, was mit mir vorgegangen sei. Er lächelte merkwürdig.
›Nichts Ernstliches. Eine akute Irritation der Nerven‹, und fügte, nachdem
er sich zuvor vorsichtig umgeblickt hatte, leise bei: ›Schließlich eine recht
verständliche. Seit dem 13- März, nicht wahr?‹
Ich nickte.
›Kein Wunder bei dieser Methode‹, murmelte er.
›Sie sind nicht der erste. Aber sorgen Sie sich nicht. ‹
An der Art, wie er mir dies beruhigend zuflüsterte, und dank seines
begütigenden Blicks wußte ich, daß ich bei ihm gut geborgen war.
Zwei Tage später erklärte mir der gütige Doktor ziemlich freimütig, was
vorgefallen war. Der Wärter hatte mich in meiner Zelle laut schreien gehört
und zunächst geglaubt, daß jemand eingedrungen sei, mit dem ich streite.
Kaum er sich aber an der Tür gezeigt, hätte ich mich auf ihn gestürzt und ihn
mit wilden Ausrufen angeschrien, die ähnlich klangen wie: ›Zieh schon
einmal, du Schuft, du Feigling!‹, ihn bei der Gurgel zu fassen gesucht und
schließlich so wild angefallen, daß er um Hilfe rufen mußte. Als man mich in
meinem tollwütigen Zustand dann zur ärztlichen Untersuchung schleppte,
hätte ich mich plötzlich losgerissen, auf das Fenster im Gang gestürzt, die
Scheibe eingeschlagen und mir dabei die Hand zerschnitten - Sie sehen noch
die tiefe Narbe hier. Die ersten Nächte im Hospital hatte ich in einer Art
Gehirnfieber verbracht, aber jetzt finde er mein Sensorium völlig klar.
›Freilich‹, fügte er leise bei, ›werde ich das lieber nicht den Herrschaften
melden, sonst holt man Sie am Ende noch einmal dorthin zurück. Verlassen
Sie sich auf mich, ich werde mein Bestes tun.‹
Was dieser hilfreiche Arzt meinen Peinigern über mich berichtet hat,
entzieht sich meiner Kenntnis. jedenfalls erreichte er, was er erreichen wollte:
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik