Page - 43 - in Schachnovelle
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»Nicht!« flüsterte ich ihm leise zu. »Nicht jetzt! Lassen Sie’s für heute
genug sein! Es ist für Sie zu anstrengend.«
»Anstrengend! Ha!« lachte er laut und boshaft. »Siebzehn Partien hätte ich
unterdessen spielen können statt dieser Bummelei! Anstrengend ist für mich
einzig, bei diesem Tempo nicht einzuschlafen! - Nun! Fangen Sie doch schon
einmal an!«
Diese letzten Worte hatte er in heftigem, beinahe grobem Ton zu Czentovic
gesagt. Dieser blickte ihn ruhig und gemessen an, aber sein steinern starrer
Blick hatte etwas von einer geballten Faust. Mit einemmal stand etwas Neues
zwischen den beiden Spielern; eine gefährliche Spannung, ein
leidenschaftlicher Haß. Es waren nicht zwei Partner mehr, die ihr Können
spielhaft aneinander proben wollten, es waren zwei Feinde, die sich
gegenseitig zu vernichten geschworen. Czentovic zögerte lange, ehe er den
ersten Zug tat, und mich überkam das deutliche Gefühl, er zögerte mit
Absicht so lange. Offenbar hatte der geschulte Taktiker schon
herausgefunden, daß er gerade durch seine Langsamkeit den Gegner ermüdete
und irritierte. So setzte er nicht weniger als vier Minuten aus, ehe er die
normalste, die simpelste aller Eröffnungen machte, indem er den
Königsbauern die üblichen zwei Felder vorschob. Sofort fuhr unser Freund
mit seinem Königsbauern ihm entgegen, aber wieder machte Czentovic eine
endlose, kaum zu ertragende Pause; es war, wie wenn ein starker Blitz
niederfährt und man pochenden Herzens auf den Donner wartet, und der
Donner kommt und kommt nicht. Czentovic rührte sich nicht. Er überlegte
still, langsam und, wie ich immer gewisser fühlte, boshaft langsam; damit
aber gab er mir reichlich Zeit, Dr. B. zu beobachten. Er hatte eben das dritte
Glas Wasser hinab-gestürzt; unwillkürlich erinnerte ich mich, daß er mir von
seinem fiebrigen Durst in der Zelle erzählte. Alle Symptome einer anomalen
Erregung zeichneten sich deutlich ab; ich sah seine Stirne feucht werden und
die Narbe auf seiner Hand röter und schärfer als zuvor. Aber noch beherrschte
er sich. Erst als beim vierten Zug Czentovic wieder endlos überlegte, verließ
ihn die Haltung, und er fauchte ihn plötzlich an:
»So spielen Sie doch schon endlich einmal!«
Czentovic blickte kühl auf. »Wir haben meines Wissens zehn Minuten
Zugzeit vereinbart. Ich spiele prinzipiell nicht mit kürzerer Zeit.«
Dr. B. biß sich die Lippe; ich merkte, wie unter dem Tisch seine Sohle
unruhig und immer unruhiger gegen den Boden wippte, und wurde selbst
unaufhaltsam nervöser durch das drückende Vorgefühl, daß sich irgend etwas
Unsinniges in ihm vorbereitete. In der Tat ereignete sich bei dem achten Zug
ein zweiter Zwischenfall. Dr. B., der immer unbeherrschter gewartet hatte,
konnte seine Spannung nicht mehr verhalten; er rückte hin und her und
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Schachnovelle
- Title
- Schachnovelle
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1942
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 46
- Keywords
- Literatur, Unterricht, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik