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12 Nora Fischer und Anna Mader-Kratky
werden; er verweist aber einmal mehr auf das Grundthema dieser Publikation: die
Verbindung von Wissenschaft und Kunst. Auch daran werden die Nahtstellen – und
Bruchstellen – deutlich, dass etwa die Schaustücke im Naturalienkabinett der frühen
1780er-Jahre nach dem traditionellen Prinzip von Gemäldehängungen (dem soge-
nannten Pendantsystem) achsensymmetrisch in den Schaukästen gruppiert wurden,
während die rest
lichen Objekte – streng systematisch geordnet – in den Schubladen
verschwanden, wie Christa Riedl-Dorn in ihrem Artikel aufzeigt.
Um die komplexe Wechselbeziehung von Wissenschaft und Kunst geht es auch
im Beitrag von Anna Maerker zur Sammlung medizinischer Wachspräparate im
Josephinum, und zwar aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Rezeption der
Anatomia Plastica, die sich nach der Eröffnung des Josephinums in den Debatten zur
Sammlung manifestierte. Der Versuch, im Josephinum lehrreiche Anschaulichkeit und
ästhetisches Vergnügen miteinander zu verknüpfen, wurde in der Öffentlichkeit
äußerst ambivalent beurteilt. Vor allem vonseiten der Ärzteschaft und der Medizin-
studenten, deren Studium die Anatomia Plastica eigentlich hätte dienen sollen, sah sich
die Sammlung heftiger Kritik ausgesetzt. Ihr wissenschaft licher Wert per se wurde
infrage gestellt: Didaktischer Zweck und künstlerische Präsentation der Wachs modelle
würden sich, so das Postulat der Mediziner, gegenseitig ausschließen. Abseits des
Zirkels von Ärzten empfand man die anatomische Wachsmodellsammlung dagegen als
ein ästhetisches Vergnügen – und so wurde sie zu einem Publikumserfolg. Je nach
Perspektive und je nach sozialer Stellung nahm die heterogene Öffentlichkeit die
Sammlung im Hinblick auf ihren Erkenntniswert und ihre Ästhetik unterschiedlich
wahr. Damit war die Schere der Ambivalenz im Spannungsfeld zwischen Schönheit
und Wissenschaft aufgetan: Aufgrund der Zwitterstellung der Anatomia Plastica als
Studienobjekt und als Kunstwerk stand die Sammlung an der Schnittstelle einander
widersprechender Wahrnehmungen in epistemologischer und öffentlichkeitswirk-
samer Hinsicht.
Die Frage nach der Korrelation zwischen lehrreicher Anschauung und ästheti-
schem Genuss bzw. Wissenschaft und Kunst stellte sich nicht nur in naturwissenschaft-
lichen Sammlungen, sondern auch in Kunstsammlungen. Die Neuaufstellung der
kaiser lichen Gemäldegalerie im Oberen Belvedere von 1781 wurde in deut licher
Bezugnahme auf eine sich etablierende Kunstwissenschaft zuwege gebracht. Der neuen
Ausrichtung in der Hängung der Gemälde sollte ein dezidiert kunsthistorischer Sub-
text zugrunde liegen und das Arrangement darauf ausgerichtet sein, durch visuell her-
gestellte Zusammenhänge zwischen den Gemälden die ihnen zugrundeliegenden the-
oretischen Konzepte anschaulich und verständlich zu machen. Welche Theorien und
Konzepte Eingang in die Aufstellung fanden und auf welche Systematisierungs-
methoden und Ordnungspraktiken zurückgegriffen wurde, ist Thema des Beitrags
von Nora Fischer.
Einer wissenschaft lichen Auseinandersetzung mit Gemälden standen gegen Ende
des 18. Jahrhunderts mehrere Hemmnisse entgegen: Zum einen war eine Kunsttheorie
frühneuzeit licher Malerei im Sinne einer systematischen Kunstgeschichte noch nicht
ausgearbeitet. Zwar lieferte Johann Joachim Winckelmanns Geschichte der Kunst des
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur