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16 Nora Fischer und Anna Mader-Kratky
Baunormen im habsburgischen Bauwesen ausführt. Ökonomisch begründete Motive,
die dem aufgeklärten Absolutismus nach den Vorstellungen Josephs II. entsprachen –
Zentralismus, staat liche Eingriffe, Kostenreduktion und öffent
liche Wohlfahrt –,
kommen auch in der Reformierung des Hofbauamtes deutlich zum Tragen. Mit der
Einrichtung einer Oberhofbaudirektion in Wien schuf der Kaiser eine zentrale Con-
trollingstelle, die alle aus öffent
lichen Geldern finanzierten Bauangelegenheiten
(Hoch-, Wasser- und Straßenbau) in den Kronländern steuern und zugleich für einheit-
liche Verfahren und Prozesse in den zuvor eigenständig agierenden Baubehörden sor-
gen sollte. Dabei ging es vorweg um Lösungen für den unmittelbar anstehenden,
erhöhten Bedarf an staat lichen Bauten in den habsburgischen Erblanden, zum Beispiel
infolge der Impopulationspolitik in das Banat, der mit verwaltungstechnischen Maß-
nahmen bewältigt werden sollte. Beabsichtigt war eine Steigerung der Effizienz und
eine Rationalisierung der administrativen Prozesse im Hofbauwesen, mit dem Ziel, die
diversen Bauprojekte zu vereinfachen und zu beschleunigen. In diesem Sinne wurden
in der Oberhofbaudirektion die sogenannten Ingenieurs-Directiva (1784) als Hand-
lungsanleitung entwickelt, die neben den Vorschriften der Kostenabrechnung, Bestim-
mungen von Verantwortlichkeiten und Richtlinien zur Personalakquise auch eine
normierte Darstellung aller Architekturentwürfe vorsahen. Was die Ingenieurs-
Directiva implizierten, war die streng utilitaristische Ausrichtung der Bauaufgaben
und der Verzicht auf jeg lichen individuellen und künstlerischen Anspruch der Bau-
ausführungen sowie eine auf nominalistischen Prinzipien fußende mechanische
Konzeption der Architektur. Im Spannungsfeld zwischen Schönheit und Wissenschaft
verschiebt sich der Akzent deutlich in Richtung Wissenschaft, wenn Architektur dem
Primat der Ökonomie unterliegt.
Markus Krajewski widmet sich den unkonventionellen Ordnungsmethoden und
Normierungsbestrebungen, die notwendig wurden, weil im letzten Viertel des
18. Jahrhunderts, in einer Periode der politischen, sozialen, wissenschaft
lichen und
künstlerischen Umbrüche, die gewohnten Settings in Bewegung geraten waren. Bewe-
gung ist hier im eigent lichen Sinn gemeint, wenn etwa die flüchtenden Rekruten mit-
tels der sogenannten Seelenkonskription erfasst werden, die in der weiteren Folge
gleich mit einer Durchnummerierung und Verzeichnung der Häuser in Wien ver-
knüpft wurde; oder wenn die Administration der Hofbibliothek der zunehmenden
Bücherflut des späten 18. Jahrhunderts mit dem schon angesprochenen Josephinischen
(Zettel-)Katalog Herr zu werden versuchte. Auch mit der „Stillstellung des Ephe-
meren sowie einer administrativen Beweglichkeit des Festgehaltenen“ (Markus
Krajewski) lässt sich eine gedank
liche Verbindung zum Sammlungswesen herstellen.
Dem an und für sich statischen Charakter von Sammlungen sind ebensolche divergente
Dynamiken inbegriffen: Zuwachs und Verminderung, Ortswechsel und Umräumen
halten die Objekte ständig in Bewegung, die desgleichen mit speziellen Ordnungs-
techniken, Inventarisierungsmethoden und Normierungsverfahren fixiert werden
müssen.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur