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22 Elisabeth Hassmann
worden, als die franziszeischen Kabinette noch in Aufbau begriffen waren. Franz
Stephan setzte seinen ältesten Sohn Joseph zum Universalerben ein. Das Einverständ-
nis zwischen Joseph II. und seiner Mutter über die Verlassenschaft ist mit 16.
Oktober
1765 datiert. Darin wird unter anderem festgesetzt, dass die „Medaillen- wie auch
Naturalien Cabineter und Raritäten […] zur Zierde Unsers Ertzhauses und zum
beständigen dankbaren Angedenken“ an den Verstorbenen „nicht veräusseret, ver-
macht oder getrennt werden, sondern beständig bey Unserem Ertzhauß und Thron-
Nachfolgern Verbleiben“ sollen.4 Bereits zuvor hatte Joseph II. (nicht Maria Theresia,
wie es in der Literatur sonst heißt) mündlich resolviert, dass die drei Kabinette künftig
dem kaiser
lichen Oberstkämmereramt zu unterstehen haben,5 dem auch die Ober-
leitung über die Schatzkammer und die Bildergalerie oblag.
Verlegung der Kabinette in den (ehemaligen) Neuen Augustinergang 1765/1766
Zu Lebzeiten Kaiser Franz Stephans befand sich sein Münzkabinett im Kontroll
or-
gang des Leopoldinischen Traktes der Wiener Hofburg unterhalb der kaiser
lichen
Appartements,6 sein Naturalienkabinett lag in den Räumen neben der Hauptstiege der
Hofbibliothek7 und sein Maschinenkabinett war vermutlich im sogenannten Kaiser-
haus in der Wiener Wallnerstraße untergebracht.8 1756 wurde beschlossen, den bishe-
rigen Augustinergang, der entlang des Burgwalls verlief und die Alte Burg mit dem
Augustiner-Hofkloster verband, abzubrechen. Er sollte, wie der damalige Oberst-
kämmerer Johann Joseph Graf Khevenhüller-Metsch in seiner Tagebucheintragung
vom 10.
Juni 1756 vermerkte, „nunmehro zum Repositorio des Baillouischen Cabinet
oder, besser zu sagen, des Kaysers Mayestät Naturalien- und Raritäten-Collection
zubereitet“ werden.9 Wie die 1760 datierbare Bauaufnahme der Hofbibliothek zeigt
(Abb. 1), war der sogenannte Neue Augustinergang damals dreigeschoßig, wies aber
nur in den beiden unteren Geschoßen vorgelagerte Räume auf.
Aus nicht belegbarer Ursache verblieb das franziszeische Naturalienkabinett
jedoch weiterhin an seinem alten Standort in der Hofbibliothek. Nach dem Tod Franz
Stephans beschloss wohl Maria Theresia, nicht nur das Naturalienkabinett, sondern
auch die beiden anderen franziszeischen Kabinette in den Neuen Augustinergang zu
übertragen, der zu diesem Zweck erweitert werden sollte. Bereits am 31.
Oktober 1765
4 Zit. nach Mikoletzky 1961, 67.
5 Vortrag des Oberstkämmerers Anton Graf Salm-Reifferscheid an Joseph II. vom 6. Oktober 1765;
Zimmermann 1903, Nr. 19335 (diese Edition ist unter http://jbksak.uni-hd.de [08.08.2020] abrufbar).
6 Bericht zum modernen Münzkabinett von 1787; Hassmann 2015, Nr. 495; Lorenz / Mader-Kratky
2016, Abb. 340b (Albertina Wien, Az. 6172; um 1765).
7 Bericht zum Naturalienkabinett von 1787; Hassmann 2015, Nr. 496.
8 Vgl. AK Lothringens Erbe 2000, 151–154 (Renate Zedinger).
9 Khevenhüller-Metsch 1756–1757 (Khevenhüller-Metsch / Schlitter 1914), 26. Mit den „Raritäten“
könnten die Maschinen gemeint sein; vgl. den Wortlaut des Abkommens vom 16. Oktober 1765. Zu
den Augustinergängen vgl. Lorenz / Mader-Kratky 2016, 306–309 (Anna Mader-Kratky), 503–506
(Anna Mader-Kratky und Jochen Martz).
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur