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Anna Maerker
Objekt, Verstand und Mitgefühl
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Professionalisierung
Im Jahre 1780 besuchte Kaiser Joseph
II. seinen Bruder, den toskanischen Großherzog
Peter Leopold. In Florenz besichtigte der Kaiser das neue Museum für Physik und
Naturkunde und insbesondere dessen berühmte Sammlung anatomischer Wachs-
modelle. Die Modelle, lebensgroß und in Miniatur, stellten die Strukturen des gesun-
den mensch lichen Körpers im Detail dar: lebende, attraktive Körper in Wachs. Joseph
war von der Sammlung so beeindruckt, dass er bei dem Direktor des Museums, dem
Naturwissenschaftler Felice Fontana, Kopien für Wien bestellte.
In Florenz waren die anatomischen Modelle in einem der allgemeinen Öffentlich-
keit zugäng
lichen Museum ausgestellt. Sie wurden von Toskanern und ausländischen
Besuchern gleichermaßen als ästhetisch und wissenschaftlich hochwertige Darstellun-
gen des mensch
lichen Körpers gefeiert, die die Volksaufklärung und die medizinische
Lehre beförderten. Die Beurteilung der Florentiner Modelle in Wien war allerdings
deutlich ambivalenter. Satiriker und Mediziner kritisierten die künst
lichen (und kunst-
vollen) Körper und verneinten ihren Anspruch auf Nützlichkeit. Der folgende Beitrag
untersucht die Rezeption der Modelle in Wien und identifiziert insbesondere Debat-
ten um die Verstrickung von Objekt, Emotion und Geschlecht in medizinischer Lehre
und Praxis als maßgeblich für ihren Tenor.
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Die Visualisierung des Körperinneren stellte über Jahrhunderte eine Herausforderung
für anatomische Forschung und Lehre dar, vor allem im Zusammenhang mit der
umstrittenen Praxis der Leichensektion. Mit dem Beginn der Frühen Neuzeit suchten
Mediziner zunehmend die Zusammenarbeit mit Künstlern, um das Körperinnere auch
ohne Zugriff auf Leichen sichtbar zu machen. Einen frühen Höhepunkt fand diese
Entwicklung mit Andreas Vesals reich illustrierter Abhandlung De humani corporis
fabrica (1643). Abbildungen in zwei Dimensionen waren jedoch in mancher Hinsicht
problematisch, da sie den komplexen räum lichen Gegebenheiten des Körperinneren
nicht gerecht wurden. Erfindungsreiche Klapp-Anatomien, die die Organe in zwei-
dimensionalen Schichten präsentierten, lösten das Problem nur bedingt. Im 18. Jahr-
hundert wurden zunehmend dreidimensionale Modelle angefertigt. Hier kamen ver-
schiedene künstlerische Traditionen zusammen: die medizinische Illustration, aber
auch die Herstellung religiöser Kunst in Form von Votivgaben und Heiligenskulptu-
ren sowie die Fertigung kolorierter Porträtbüsten in Wachs. Die Kombination medi-
zinischer und künstlerischer Traditionen war insbesondere in Italien fruchtbar. Am
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur