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Die anatomischen Wachsmodelle des Josephinums 63
unterstrich: „Man sieht alles, und versteht alles, auf einen Blick.“5 Dieser intendierte
Nutzen der Florentiner Wachsmodelle als Instrumente der Volksaufklärung wurde
allerdings von den Besuchern nicht immer wahrgenommen. Sie rezipierten die anato-
mischen Modelle im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert oft auf andere Weise. Für
die einen waren die wächsernen Körper Anlass zur moralischen Kontemplation,
anderen schenkten sie eine religiöse Erfahrung und offenbarten ihnen die Allmacht
des Schöpfers. So stellte die französische Malerin Elisabeth Vigée-Lebrun fest: „In
Monsieur Fontanas Kabinett muss man einfach glauben und niederknien.“6
Medizinische Reformen in Österreich
Von 1784 bis 1786 kamen insgesamt 1192 Wachsmodelle auf dem Rücken von Maul-
eseln über die Alpen nach Wien. Sie waren für die von Joseph neu gegründete medizi-
nisch-chirurgische Militärakademie bestimmt und wurden dort seit der Eröffnung der
sogenannten Josephsakademie (Josephinum) im November 1785 öffentlich zur Schau
gestellt. In einem Brief an Peter Leopold vom 11. November 1784 lobte Joseph die
anatomischen Präparate als „Zierde der neuen Akademie“.7 Die Modelle des Josephi-
nums können als Teil eines breiteren Unterfangens zur Verbesserung der medizini-
schen Versorgung in Österreich verstanden werden. Unter Kaiserin Maria Theresia
waren verschiedene Institutionen und Autoritäten für die öffent liche Gesundheit ver-
antwortlich, darunter die medizinischen Fakultäten der Universitäten, aber auch
lokale wohltätige Stiftungen und Kommunen.8 Bereits zu Zeiten der Kaiserin und
ihres Protomedicus Gerhard van Swieten wurden Maßnahmen zur Zentralisierung
medizinischer Versorgung getroffen, etwa im Sanitätsnormativ von 1770, das die Sani-
täts-Hofdeputation zur Zentralbehörde erhob, der die landschaft lichen Sanitätskom-
missionen und auf der lokalen Ebene die Kreisphysici unterstellt waren.9 Van Swieten
war als Protomedicus und zugleich Direktor der Medizinischen Fakultät der Univer-
sität Wien und Präsident der Studienhofkommission besonders einflussreich. Sein
Nachfolger Anton Störck (seit 1772) verlor an Einfluss und überwarf sich mit
Joseph II., der sich intensiv mit der medizinischen Versorgung seiner Untertanen aus-
einandersetzte.
Joseph führte zur stärkeren Zentralisierung und Vereinigung der öffent lichen
Gesundheitsvorsorge eine Reihe von Maßnahmen durch, darunter die Gründung des
Allgemeinen Krankenhauses in Wien im Jahre 1784. Die Reaktionen der medizini-
schen Elite Österreichs auf die josephinischen Reformen waren gemischt. Einerseits
befürworteten prominente Ärzte und Professoren die Verbesserung der medizinischen
5 „[…] e a un colpo d’occhio tutto si vede, tutto si conosce“; Saggio del Real Gabinetto di Fisica 1775,
29–30.
6 „Dans le cabinet de M. Fontana il faut croire et se prosterner“; Vigée-Lebrun 1835, 154.
7 „[E]lles feront l’ornement de l’Académie de chirurgie“; Arneth 1872, 229.
8 Vgl. Spary 2012, 583–740.
9 Vgl. Schulz 2009, 17–19; auch Lesky 1959.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur