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68 Anna Maerker
Bei Osiander waren sowohl echte als
auch künst liche Körper fester Bestandteil
des Lehrbetriebs. Er ließ in seiner Anstalt
verschiedene Lehrmittel anfertigen, etwa
die „Nachbildungen der Vaginals-Por-
tion der Bärmutter aus Seife und ein Pel-
viarium von Gyps“, die er dem Geburts-
helfer Justus Christian Loder in Jena
schickte.25 Osiander verkündete: „Da der
ganze Zweck dieses Instituts dahin
gerichtet ist, dass den Studierenden der
Geburtshülfe sowohl, als den Hebam-
men, der Vorteil verschafft werde, sich
durch Zusehen und Handanlegen zu
wahren, der Menschheit nütz
lichen
Geburtshelfern und Hebammen zu bil-
den; ferner dass der Lehrer Gelegenheit
haben möchte, seinen Zuhörern die
Lehrsätze der Geburtshülfe in der Natur
anschaulich zu machen, so werden auch
die ins Haus aufgenommenen Schwange-
ren und Kreißenden gleichsam als leben-
dige Fantome angesehen, bei denen alles
das (immer freilich mit der größesten
Schonung der Gesundheit und des Lebens ihrer und ihres Kindes) vorgenommen
wird, was zum Nutzen der Studirenden und Hebammen und zur Erleichterung der
Geburtsarbeit vorgenommen werden kann.“26 Diese Haltung war jedoch bereits unter
Osianders Kollegen und Studenten umstritten. So gründete sein ehemaliger Student,
der Privatdozent Joseph Jacob Gumprecht, ein ambulantes Entbindungsklinikum mit
der Ansage: „[…] heißt es etwa nicht, mit dem Leben des Menschen spielen, wenn man
Frauenzimmer in Kindesnöten als Phantom gebraucht?“27
Die Grenzen zwischen lebenden, toten und künst
lichen Körpern waren bei dieser
Art des Lernens am Objekt oft porös. So hatte zum Beispiel eine dieser Gebärmaschi-
nen „zu ihrer Grundlage ein natür
liches Frauengerippe, gänzlich ausgestopft und mit
Leder bezogen. In dem Becken ist eine künst
liche lederne Gebärmutter von natür-
licher Größe angebracht, in welcher vermittelst lederner Puppen, von ordent
licher
Größe neugeborner Kinder, welche mit natür lichen Kinderköpfen versehen sind, alle
Arten widernatür licher und schwerer Geburten, sie mögen einzig und allein mit der
Hand, oder mittelst der Instrumenten operirt werden müssen, verrichtet werden
25 Loder 1806, 191.
26 Osiander 1794–1795, cix–cx; vgl. Schlumbohm 2012, 389.
27 Joseph Jacob Gumprecht zit. in Schlumbohm 2012, 389.
Abb. 4: Geburtshilfl iches Phantom, Italien,
18. Jahrhundert (London, Science Museum,
Inv.-Nr. A600052)
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur