Page - 76 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
Image of the Page - 76 -
Text of the Page - 76 -
76 Anna Maerker
Ärzten und Chirurgen, sowohl aus den Reihen des Josephinums als auch extern rek-
rutiert, beschloss ihren Bericht zu einer Kompromisshaltung. Der Bericht betonte:
„Medizin und Chirurgie ... beruhen auf einerlei Grundsätzen; sie sind nicht nur ver-
wandt, sondern machen vielmehr ein unzertrenn
liches Ganzes aus“; „Es gab von
Anbeginn bis jetzt nur eine Heilkunst, gleichwie es von Anbeginn bis jetzt nur eine
nach immer gleichen Gesetzen organisirte und wirkende Natur gab.“52 Andererseits
kritisierte die Kommission aber Brambilla (und indirekt den inzwischen verstorbenen
Joseph II.) bezüglich seiner Entscheidung, die teuren Wachsmodelle aus Florenz für
die Akademie anzuschaffen. Dies, so die Kommission, ging auf Kosten der anatomi-
schen Ausbildung am echten Körper. „Die beständigen anatomischen und chirurgi-
schen Übungen an Leichen sind zur Bildung der Feldärzte eine so unentbehr liche
Sache, dass der Mangel an solchen Übungen bisher eine Mitursache war, dass sich
keine geschickten und beherzten Ärzte bilden konnten.“53 Ähnlich äußerte sich auch
Johann Peter Frank in seiner Bestandsaufnahme der medizinischen und chirurgischen
Ausbildung von 1798: „Freilich ist bei einer so theuren Sammlung blos anatomischer
Präparaten mehr Luxus, als wahrer Reichthum; aber bei alledem kann das Vorräthige
zur nütz lichen Übersicht dienen.“54 Durch die Ablehnung der Wachsmodelle und
damit der Vision Brambillas für das Josephinum konnte so seine Nachfolgegeneration
an der Akademie mit der Ärzteschaft gemeinsame Grundlagen artikulieren.
Die in Florenz gefeierten Wachsmodelle wurden am Josephinum hingegen in einem
anderen institutionellen und kulturellen Zusammenhang rezipiert. Mehrere Faktoren
sind für die negative Rezeption der künst lichen Körper in Wien besonders hervorzu-
heben: eine zunehmend kritische Einstellung des Bürgertums gegenüber den Refor-
men Josephs II. und gegenüber dem Potenzial der Volksaufklärung sowie die Rivalität
zwischen Ärzten und Chirurgen. Das öffent
liche Interesse an den anatomischen
Wachsfiguren rückte die Sammlung des Josephinums in die Nähe unzivilisierter, unge-
hemmter – und oft weiblich konnotierter – Schaulust. Diese problematische Nähe
wurde von den Kritikern des Josephinums, von Satirikern und der Ärzteschaft, im
Streit um die Vorherrschaft in der Gesundheitspflege ausgenutzt. So zeichneten
Angriffe die Lehrer und Studenten der neuen Institution in ihrem Umgang mit leb-
losen Wachskörpern einerseits als „gefühllose Feldscherer“ und „Fleischerknechte“
ohne Mitleid, andererseits als „unbärtige Buben“ ohne Erfahrung und Urteilsvermö-
gen. Ein wahrer Mann und Arzt, so das Fazit, spielt nicht mit Puppen. Eine jüngere
Chirurgengeneration distanzierte sich von den Wachsmodellen, um ihre eigene intel-
lektuelle und emotionale Reife zu demonstrieren und um weiterhin eine harmonische
Koexistenz von Medizin und Chirurgie zu gewährleisten.
52 Protokoll der unterthänigsten Militär-Sanitäts-Kommission, die Verbesserung der k. k. Josephs-
Akademie und des gesamten k. k. Militär-Sanitätswesens betreffend, Vienna, 2. Mai 1795; zit. nach
Habart 1896, 58.
53 Ebenda.
54 Wien, HHStA, Studienrevisionshofkommission 1795–1803, Karton 26, Gutachten des Hofraths und
Professors Johann Peter Frank, in Rücksicht auf das medicinische und chirurgische Studium,
31. Oktober 1798, 134–135.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur