Page - 83 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
Image of the Page - 83 -
Text of the Page - 83 -
Wege der Ordnungsfindung in der kaiserlichen Galerie von 1781 83
stellten ein wertvolles Hilfsmittel dar, Dinge zu vergleichen, und seien fähig, „die Mit-
tel an die Hand zu geben, vielerley Sachen leicht mit einander, durch den geringen
Raum, welche die Kupferstiche einnehmen, und auch durch ihre große Anzahl und
Mannigfaltigkeit zu vergleichen“.18 Seine Thesen über den Nutzen und die Wirkmög-
lichkeiten von Reproduktionsstichen wurden unter anderem vom prominenten
Kunstkenner und Verleger Pierre-Jean Mariette sowohl im berühmten Recueil Crozat
als auch in der dazugehörigen Subskriptionsanzeige umfassend rezipiert.19 Für Mechel
stellte die kunstwissenschaft liche Arbeit Pierre-Jean Mariettes, dessen persön liche
Bekanntschaft er während seines Pariser Aufenthalts 1772 machte, eine wesent liche
Inspirationsquelle dar.20
Festzuhalten ist: Mechel hat das Ordnungsmodell für die Aufstellung der kaiser-
lichen Gemäldesammlung aus den ihm vertrauten Systematisierungsmethoden von
Graphiksammlungen abgeleitet. Dabei steht die Übertragung der Systematik, die in
der Bibliotheksmetapher ihren Ausdruck fand, von einem Medium (Graphik) in ein
anderes (Gemälde) zunächst in Zusammenhang mit der wissenschaft lichen Methode
des Vergleichens, die in der „Zettelwirtschaft“ der Graphiksammlungen ihren Aus-
gangspunkt nahm und mit dem Josephinischen Katalog eine aufschlussreiche Entspre-
chung zur Ordnungsfindung der Gemäldesammlung von 1781 hat.
0DOHUVFKXOHQ LP =HLWNRQWLQXXP
„[…] in welcher der Wißbegierige froh ist, Werke aller Arten und aller Zeiten
anzutreffen, nicht das Gefällige und Vollkommene allein, sondern
abwechselnde Kontraste, durch deren Betrachtung und Vergleichung (den
einzigen Weg zur Kenntnis zu gelangen) er Kenner der Kunst werden kann.“21
„Vergleichung“ wird von Mechel als alleiniges Mittel zum „Kenner der Kunst“ zu
werden angesehen. Der Terminus „Kenner der Kunst“ verweist wiederum auf einen
zentralen Begriff der Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts: die Kennerschaft, die
im 18. Jahrhundert – bezogen auf die Malerei – untrennbar mit dem Konzept der
Malerschulen verbunden war.22 Konkret sind damit die Kompetenzen, ein Gemälde
konservatorisch zu beurteilen und stilistisch zu bewerten, es in Folge einem Künstler
zuzuschreiben und einer Kunstlandschaft zuzuordnen, gemeint. Das theoretische
Fundament zum Modell der Malerschulen hatte die italienische Kunstliteratur bereits
ab dem frühen Seicento geliefert, wobei „Schule“ sowohl den Zusammenhang zwi-
schen den Meistern und ihren Schülern meinen konnte als auch – weiter gefasst – die
18 De Piles 1699, 64–65. Übersetzung aus der deutschen Ausgabe: ders. 1710, 101–102.
19 Recueil d’estampes 1729. Mercure de France, Mai 1728, 1002–1010: vgl. Bähr 2009, 101–136.
20 Das geht aus einem Brief von Hugues-Adrien Joly, Leiter des könig lichen Kupferstichkabinetts in
Paris, an Karl-Heinrich von Heinecken, Leiter des kurfürst
lichen Kupferstichkabinetts in Dresden,
hervor: McAllister Johnson 1988, 58. Vgl. Wüthrich 1956, 129–130.
21 Mechel 1783, XI–XII.
22 Zur Ausarbeitung des Malerschulmodells vgl. Bickendorf 1998.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur