Page - 85 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
Image of the Page - 85 -
Text of the Page - 85 -
Wege der Ordnungsfindung in der kaiserlichen Galerie von 1781 85
und nordalpinen Malerschulen vor
Augen geführt, wobei einander italie-
nische (1. Römische, Toskanische,
Neapolitanische und Sizilianische
Schule, 2. Venezianische, 3. Bolognesi-
sche und 4. Lombardische und Genue-
sische Schule) und nörd
liche Schulen
(1. Deutsche Schule mit den Schwei-
zern, 2. Holländische, 3. Flämische
und 4. Französische Schule) die Waage
hielten. Die zeit liche Perspektive wird
in die einzelne Malerschule gelegt,
deren chronologische wie stilistische
Entwicklung – Schule für Schule –
nachgezeichnet wird. Innerhalb der
Schulen waren die Stiche in Œuvres
gefasst, die wiederum chronologisch
gereiht wurden, wobei das Geburtsda-
tum des Malers als Stichtag galt.27
Die Parallelen zwischen der Kon-
zeption der Stichsammlung und der
Mechel’schen Galerieaufstellung sind
schon im Gesamtplan des ersten Stocks
des Oberen Belvedere evident: In sei-
nen zwei Flügeln stehen einander süd-
alpine (italienischen Schulen) und
nordalpine Malerschulen (niederländische Kunst) gegenüber. Die stärkste Korrespon-
denz aber zeigt sich im Spannungsgefüge der italienischen Kunst, wo in den aufeinan-
derfolgenden Zimmern Schulchronologie an Schulchronologie gereiht wurde. Zu
bemerken ist hier wie dort: man ist – gleich einer Zeitschleife – immer wieder mit
derselben Periode vom frühen 16. bis zum späten 17. Jahrhunderts konfrontiert und
nimmt so die italienische Kunst in ihrer Gesamtheit als eine in einer Zeitebene blei-
bende Entwicklung wahr.28
Bei entsprechend großer Anzahl von Gemälden und im Fall, dass dem Künstler
eine stilbildende Relevanz zugesprochen wurde, wurde – analog zu den Portefeuilles
der Graphiksammlung – ein ganzer Raum einem einzigen Künstler gewidmet, so bei
Tizian, Rubens oder van Dyck. Am anschaulichsten gelang es Mechel bei Tizian, von
dem die kaiser liche Galerie einen überragenden Bestand besaß, dessen stilistischen
Entwicklungsgang vom Schüler über den reifen Künstler bis zum Spätwerk nachzu-
27 Koschatzky 1964, 11.
28 Vgl. Bickendorf 1998, 353–356, in Zusammenhang mit der Geographie der Stile und der Zeit-
konstruktion in Luigi Lanzis Storia pittorica (1792, 1795–96 und 1809).
Abb. 2: Giacomo Durazzo, Discorso Preliminare,
Fassung II, Erstes Deckblatt, 1776 (?) (Albertina
Wien, Inv.-Nr. 30858/2)
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur