Page - 89 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
Image of the Page - 89 -
Text of the Page - 89 -
Wege der Ordnungsfindung in der kaiserlichen Galerie von 1781 89
siker der Kunstgeschichte“35, die Geschichte der Kunst des Alterthums (1764) von
Johann Joachim Winckelmann, ist ein Werk der klassischen Archäologie, welches pri-
mär die antike Skulptur im Fokus hatte. Aufgrund seiner historisch-kritischen
Methode, die auch für die Systematisierung der neuzeit
lichen Kunst wirksam gewor-
den ist, gilt sie dennoch als das Gründungswerk neuzeit licher Kunstgeschichte.
Die Geschichte der Kunst des Alterthums lieferte – so die begründete Vermutung –
auch für die Hängung der Gemälde durch Mechel entscheidende Argumente: Sie bil-
det zunächst einen Schnittpunkt einander kreuzender Lebenswege der Trias aus
Winckelmann, Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg und Mechel. Seinem
Lehrer und Mentor Johann Georg Wille verdankte Mechel den ersten Kontakt zu
Winckelmann, der 1766 zu einem Aufenthalt bei diesem in Rom führte. Mechel schloss
enge Freundschaft mit Winckelmann und korrespondierte bis zu dessen Tod 1768 mit
ihm. Er war sich auch der großen Wertschätzung bewusst, die man in höchsten Wiener
Kreisen Winckelmanns Werk entgegenbrachte und wusste dies für sich zu nutzen: Bei
seiner ersten Reise nach Wien 1778 verabsäumte er es nicht, ein Konvolut von Briefen
Winckelmanns mitzunehmen;36 seine darin dokumentierte freundschaft liche Bezie-
hung zu Winckelmann und sein durch ihn geschultes kunsttheoretisches Wissen ebnete
ihm den Kontakt zu Staatskanzler Kaunitz – was letztlich zum Auftrag der Neugestal-
tung der kaiser
lichen Galerie führte.
Im kontinuierlich geführten Briefwechsel zwischen Winckelmann und Mechel
kam mehrmals eine geplante neue und erweiterte Ausgabe der Geschichte der Kunst
des Alterthums zur Sprache.37 Die beschriebene Edition kam zu Lebzeiten
Winckelmanns nicht mehr zustande, besagtes Manuskript führte Winckelmann auf
seiner Rückreise von Wien, wo er – auf Vermittlung von Kaunitz – von Kaiserin Maria
Theresia empfangen worden war, nach Italien mit sich. Nach Winckelmanns Ermor-
dung 1768 in Triest, auf eben dieser Rückreise von Wien, gelangte dieses Material an
seinen Erben, Kardinal Alessandro Albani in Rom und von diesem an Kaunitz in
Wien.38 Kaunitz ließ 1776 durch die Wiener Akademie der bildenden Künste und unter
seinem Protektorat die zweite deutsche Edition der Geschichte der Kunst des Altert-
hums publizieren, zu deren ersten Subskribenten wiederum Mechel zählte.39
Mechel war folglich mit den theoretischen Studien Winckelmanns vertraut und
fand innovative Mittel und Wege, dessen Theoriebildung auf die Gemäldesammlung
zu übertragen. Schon die Wortwahl von einer „sichtbaren Geschichte der Kunst“ ist
35 Vgl. Pfisterer 2007, 10.
36 Mechel an Usteri: „Nun empfangen Sie von Bruder Heinrich meine Winckelman Briefe; hier sind
keine, sonst kämen sie mit; Confrontieren Sie sie nun mit Ihrer Copie oder lassen eine correcte davon
machen, denn ich möchte mein Bändchen gerne bald zurück haben; ich möchte es auf die Wiener
Reise mitnehmen; Sobald sie es missen können.“ In: Winckelmann (Rehm 1957), 333 (Nr. 198c,
31. Dezember 1777).
37 Winckelmann (Usteri 1779): Johann Joachim Winckelmann an Christian Mechel, 165 (8. April 1767),
174 (12. Mai 1767), 192–193 (8. August 1767), 202 (12. Dezember 1767), 206–207 (13. Jänner 1768).
38 Winckelmann 1764/1776 (Borbein / Gaehtgens / Irmscher / Kunze 2009), Vorwort der Herausgeber,
VIII.
39 Ebenda, XXXIII.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur