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104 Gernot Mayer
Diese Differenzierung ist insofern brisant, als es in weiterer Folge zu einer nationa-
len Umdeutung der Theorien Ehemants kam. Im Frühjahr 1780, einige Monate nach
dem Erscheinen des genannten Aufsatzes, wandte sich der Prager Professor schriftlich
an Christian von Mechel.46 Diesen mussten Ehemants Forschungsergebnisse unge-
mein fasziniert haben, steckte Mechel doch selbst gerade „so recht mit Haut u[nd]
Haar in den Germanisch[en] Alterthümern“.47 Im Rahmen der Neuaufstellung der
Wiener Sammlung versuchte Mechel, den bislang etablierten Schulen-Kanon um die
Deutsche Schule zu erweitern und deren Entwicklung bis an ihren Ursprung zurück-
zuverfolgen. Die neuen Erkenntnisse zu dem Straßburger Maler Nikolaus Wurmser
kamen also gerade zur rechten Zeit.
Mechel übermittelte das Prager Schreiben seinem „theuren Vater und Leiter“,48
Staatskanzler Kaunitz, der hierauf Ehemant um detaillierte Ausführungen bat, ja gera-
dezu mit Fragen – etwa die Maße, Technik oder Ikonographie der Bilder betreffend –
überhäufte. Um diese hinreichend beantworten zu können, sollte Ehemant gemeinsam
mit dem Maler Kastner die Karlštejner Malereien erneut genauestens untersuchen (vgl.
den Anhang dieses Beitrags).
Indes wandte sich Mechel ungeduldig an seinen Freund Jeremias Jakob Oberlin in
Straßburg, um von diesem weitere Auskünfte zu dem Maler Wurmser zu erhalten. Aus
diesem Brief geht Mechels Zielsetzung klar hervor: „Denck[en] Sie wie das schön ist[,]
daß hiedurch die Erfindung der Ölmahlerey eine Deutsche Erfindung wird – 60 Jahre
vor dem guten Van Eyck. und wie schön steh[en] ein paar gemählde von unserem
Wurmser an der Spitze meiner nun Gottlob zum erstenmal hier errichteten deutschen
Schule.“49 – War Ehemant also noch darum bemüht gewesen, zwischen der Erfindung
46 So berichtet Kaunitz (vgl. den Anhang des Beitrags) von einem Schreiben Ehemants an Mechel. Mög-
licherweise waren sich die beiden persönlich begegnet, sollte Mechel tatsächlich 1779 nach Böhmen
gereist sein (wie bei Wüthrich 1956, 151, angenommen). Der Kontakt könnte auch über den Oberst-
burggrafen Karl Eugen von Fürstenberg, den späteren Präsidenten der Böhmischen Gesellschaft der
Wissenschaften, hergestellt worden sein, der unmittelbar in die Karlštejner Entdeckungen involviert
gewesen war. Mehrfach wird zudem Eugen Wenzel Graf von Wrbna in diesem Zusammenhang
genannt, etwa bei Hilchenbach 1781, 20: „Diesen Aufsatz legten S. Excellenz der Graf von Würben
Seiner Majestät dem Kaiser, dem Fürsten Kaunitz und Herrn von Mechel vor […].“ Vgl. dazu auch:
Kurze Biographie 1788, 189. Als weiterer Vermittler kommt zudem der Prager Kollege Ehemants,
Franz Steinsky, infrage, der sich im Juni 1780 in Wien aufhielt und mit Mechel näher bekannt war;
vgl. Zürich, Zentralbibliothek, Ms Z II 392.25, Mechel an Unbekannt, 27. Juni 1780.
47 So schrieb er zur selben Zeit an Murr: „Mit dem größten Vergnüg empfinge ich Ihre werthe Zuschrift
vom 4.en dies nebst der Beschreibung des werth[en] Nürnberg, Beydes ist mir sehr apropos gekom-
men, weil ich eb[en] jetz so recht mit Haut u[nd] Haar in den Germanisch[en] Alterthümern stecke“,
München, Bayerische Staatsbibliothek, Murriana II, Mechel an Murr, 29. April 1780. Mit den „Ger-
manischen Altertümern“ bezog sich Mechel auf die Malerei der Dürerzeit, wie aus dem weiteren
Brief geschlossen werden kann.
48 Paris, BnF, Man. Allemand 197, Correspondance d’Oberlin, vol. 6, fol. 420, Mechel an Oberlin,
13. Mai 1780.
49 „Hier eine wichtige Entdeckung von der ein mehreres ein andermahl; Nun seh[en] sie flugs nach um
Nachricht bey Ihnen über den Niclaus Wurmser, besonders wan er gebohren, wan er nach Böhmen
gieng, ob er zurück kam u[nd] wan u[nd] dann hauptsächlich wan er starb – Denck[en] Sie wie das
schön ist […]“, Paris, BnF, Man. Allemand 197, Correspondance d’Oberlin, vol. 6, fol. 420v–421,
Mechel an Oberlin, 13. Mai 1780.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur