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138 Hans C. Hönes
eines späteren Stils“ trage, da, im Vergleich zu einer anderen Statue dieser Ikonogra-
phie, die „Augenknochen und die Augenbrauen [...] mit einer empfind lichen Schärfe
angegeben worden“ seien, während selbes Merkmal an einem anderen Beispiel „rund-
lich gehalten, wie an dem Kopfe des Meleagers im Belvedere“ sei.46 Ähnlich argumen-
tiert er ein paar Seiten später, wo die „gezwungen gearbeiteten Haare“ eines Werkes
mit den „kleine[n] kreppigte[n] Locken reihenweis geleget“ in einem anderen ver-
glichen werden.47 Hier geht es um Detailrelationen, direkte Vergleiche, die chrono-
logische Ordnungen etablieren.
Obwohl äußerlich ähnlich, verfolgen Winckelmanns Beschreibungen der Statuen
der Villa Albani doch einen anderen Zweck. Hier wird, mehr als im summarischen
(und systematischen) Anfangsteil der Geschichte, zu jeder Stilstufe ein summierender
Absatz über die Darstellung gewisser formaler Probleme geschrieben.48 Obwohl dies
eben nicht an einzelnen Figuren im Besonderen entwickelt wird, ist unverkennbar,
dass hier eine qualitative Reihung impliziert ist. Es beginnt im älteren ägyptischen Stil
künstlerisch basal: „Die Anzeige der Kleidung dienet der Einbildung, sich dieselbe
vorzustellen, wo sie an dem übrigen Körper gar nicht sichtbar ist.“ Im späteren ägyp-
tischen Stil ist hier „ein merck
licher Unterschied“.49 Der griechische Einfluss führt
dazu, dass „mehr nach der Natur gebildet“ wird; statt eine einheit liche Gewandung zu
geben, werden nun ein „Unterkleid“ und „Oberhemde“ differenziert.50 In Etrurien
scheinen die Figuren hinsichtlich der Körperbildung „in gewißem Maße den Egypti-
schen ähnlich“ zu sein, „die Falten angeführter Figuren, sonderlich auf dem erhobenen
Werke, gehen alle in schnurgeraden, senkrechten und parallel laufenden Linien“.51
Dass Winckelmann den späteren etruskischen Stil nicht diskutiert, intensiviert den fol-
genden qualitativen Sprung; im griechischen Beispiel, und besonders am Apollo von
Belvedere, werden die „großen Falten“ viel enthusiastischer gewürdigt und als „so
meisterhaft geworfen“ bezeichnet, dass nur wenig ihnen gleichkommen könne.52
An formellen Details wie der Gewanddarstellung wird also eine Steigerung künst-
lerischer Qualität beschrieben, die zugleich eine historische Entwicklung suggeriert.
Doch der Eindruck täuscht; die Abfolge an Werken, welche in Winckelmanns kurzer
Sammlungsbeschreibung präsentiert wird, hat bei genauerer Betrachtung relativ wenig
mit dem historischen Entwicklungsgang der antiken Kunst zu tun. Die Reihenfolge
der antiken Zivilisationen, die Winckelmann im Brief an Stosch präsentiert, ist chrono-
logisch keineswegs akkurat. Die Kunst unter Hadrian etwa, präsentiert als Stufe drei
46 Winckelmann 1776, 656.
47 Ebenda, 659.
48 Z. B. Winckelmann 1759–1763 (Rehm 1954), 135: „In dem älteren Stil scheinet die Bildung des
Gesichts zum Theil nach der Natur genommen, noch mehr aber nach ein angenommenes Systema
geformet zu seyn. Die Köpfe haben alle eine den Sinesen ähn liche Bildung durch die platte und schräg
gezogene Augen, und durch den aufwerts gezogenen Schnitt des Mundes [...].“
49 Ebenda, 136.
50 Ebenda.
51 Ebenda, 138.
52 Ebenda, 139.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur