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144 Werner Telesko
Zitat „Aristides Thebanus [omnium primus] animum pinxit et sensus hominis expres-
sit. [Aristeides von Theben legte zuerst Seele in seine Gemälde und drückte die
mensch lichen Gefühle aus.]“4 wird im Haupttitel einerseits die herausragende künstle-
rische Rolle dieses antiken Malers unterstrichen, zugleich aber ein von Sonnenfels
vehement vertretenes zentrales Postulat an die Künstler des späten 18. Jahrhunderts
ostentativ in den Vordergrund gestellt, nämlich vor allem Emotionen und Zustände
der Seele in ihren Werken zu schildern.
Sonnenfels beginnt seine Ausführungen mit einem Lobpreis der Malerei, „die zur
Zierde und Vergnügen der Welt so Vieles beyträgt“5, sowie mit einem Rückblick auf
bedeutende Figuren der Antike, um anschließend mit einer Frage in Bezug auf die
Rolle der Kunstpolitik unvermittelt und ohne nähere Begründung der Situation Öster-
reichs im 18. Jahrhundert mit seinen konkreten Vorstellungen auf den Plan zu treten:
„Durch welche Ungerechtigkeit unsrer Zeiten geschieht es denn, daß derjenige Theil
der Kunst, der gewissermassen als die Grundlage der übrigen angesehen werden muß,
nicht bloß unterschieden, sondern ungeachtet, sondern geringeschätzt wird?“6
Sonnenfels präzisiert hier „Gleichgültigkeit“ und „Geringschätzung“ als aktuelle
vorhandene Merkmale, die „Kenner und Kunstgenossen“ gegenüber jenen künstleri-
schen Talenten an den Tag legen würden, die mit aller Berechtigung bestrebt seien, „die
Aehnlichkeit eines Gesichtes“7 zu treffen. Sonnenfels spricht hier von dem angeb-
lichen „niedern Range, der dem Porträtmaler insgemein angewiesen wird“8, der über-
dies durch die Ausübung seiner Kunstrichtung generell dem unberechtigten Hochmut
sowie der Verachtung des Historien-, des Schlachten-, des Landschafts- sowie des
Tier- und Blumenmalers ausgesetzt sei.9 Sonnenfels bringt somit – seine Postulate und
Interessen betreffend – in polemischer Weise die in der zweiten Jahrhunderthälfte
deutlich in Bewegung geratene Gattungshierarchie der europäischen Staffeleimalerei
ins Spiel,10 um die seiner Meinung nach deutlich zu gering geschätzte Porträtmalerei
entsprechend neu zu positionieren und zu nobilitieren: „Es schien mir einer Unter-
suchung würdig, woher diese Geringschätzung rühren möge? Ob der Porträtmaler
wirklich keine Foderung [sic!] auf den Rang eines Talents machen? oder wodurch er
sich dieses Rangs bemächtigen könne?“11 Eine der zentralen Begründungen von
Sonnenfels in Bezug auf eine seiner Meinung nach längst fällige Bedeutungssteigerung
der Porträtkunst besteht darin, die Darstellung des mensch
lichen Körpers als einen
wesent lichen Bestandteil der Malerei anzusehen,12 zudem aber auch „Bildnisse der
4 Plinius, Naturalis historia, XXXV, 35.
5 Sonnenfels 1768, 3–4.
6 Ebenda, 5.
7 Ebenda.
8 Ebenda.
9 Ebenda, 5–6.
10 Busch 1993.
11 Sonnenfels 1768, 6.
12 Ebenda, 6–8.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur