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Joseph von Sonnenfels und die Publizität der bildenden Kunst 147
geringe Bildung des Volkes, welche die eigent liche Ursache dafür sei, dass keine
adäquate Beurteilung der Werke bildender Kunst zustande kommen könne.17 Er rühmt
in diesem Zusammenhang die in der jahrhundertelangen Tradition der Kennerschaft
dieser sozialen Schicht angeblich begründeten „Vortheile des Adels“18, dessen Nach-
wuchs wiederum von den optimalen Bildungsmöglichkeiten im Rahmen der euro-
päischen Grand Tour profitieren könne und solcherart die Nation repräsentiere: „[…]
in Werken des Geschmacks stellet er [der Adel] die Nation vor.“19
Immer wieder kommt der Autor auf die grundsätz lichen Problemstellungen von
Charakter und Bedeutung des Porträts im Allgemeinen und die damit ursächlich ver-
bundenen Fragen mensch
licher Porträtähnlichkeit im Besonderen zu sprechen. Der
Autor bejaht die Notwendigkeit letzterer Eigenschaft, setzt die Kunst aber in ihren
vielfältigen Möglichkeiten deutlich von anderen technischen Vorrichtungen wie dem
Spiegel bild ab, die lediglich geeignet seien, bloße, also künstlerisch nicht ausreichend
reflektierte Abbilder des Menschen gewinnen zu können.20 Es sei also, Sonnenfels
zufolge, nicht die Wiedergabe von Ähnlichkeit an sich, welche die eigent
liche Leistung
eines Porträtmalers ausmache.21 Diesen tragenden Gedanken entwickelt er unter Hin-
weis auf die Hauptvertreter der Porträtkunst in strikter Absetzung von der Historien-
malerei, die es angeblich erlauben würde, mit einer flexiblen Anwendung des idealen
Formenvokabulars eben jene gravierenden Schwierigkeiten, mit denen der Porträt-
künstler tagtäglich konfrontiert sei, zu überwinden.22 Gerade deshalb stehe Letzterem
das „Gebiet der idealen Schönheit“23 nicht offen. Im Gegenteil: Das Modell, mit dem
es der Porträtkünstler bei der Ausführung in der Regel zu tun habe, „tyrannisirt ihn
bey jedem Zuge; es meistert seine Kühnheit und spricht: hier ist dein Ziel!“24 Die darin
offenbar werdenden Klippen zwischen „Wahrheit“ einerseits und „Empfindung“
andererseits, denen der Porträtkünstler in seinem Fach ausgesetzt sei, beschreibt der
Autor mit großer und einfühlsamer Intensität, die fast an die unmittelbare Teilhabe
eines Künstlers erinnert.25
Dieses vertiefte Interesse von Sonnenfels an genuin künstlerischen Fragen wird
durch Beobachtungen unterstrichen, die der Autor von Johann Joachim Winckelmann
und Roger de Piles entlehnt.26 Entsprechende Gedanken formuliert Sonnenfels
erstaun licherweise aber nicht nur als historischer Beobachter der Porträtmalerei, son-
dern explizit im Sinne eines Lehrenden: „Eine Stelle des Piles kann jungen Künstlern
17 Ebenda, 21.
18 Ebenda.
19 Ebenda, 22.
20 Ebenda, 26.
21 Ebenda, 31.
22 Ebenda, 34.
23 Ebenda.
24 Ebenda, 36.
25 Ebenda, 37–42.
26 Ebenda, 41, 43.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur