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150 Werner Telesko
alternative Programme und Lösungen für die Zukunft zu entwerfen, sondern die
Untersuchung von Sonnenfels zur beabsichtigten Bedeutungssteigerung der Porträt-
malerei im Rahmen des Kunstkanons hätte im Jahr 1768 in ihrer argumentativen Abs-
traktheit durchaus in jedem Land Europas geschrieben werden können.
Der Autor nimmt mit seinen Zeilen eher implizit als explizit die geringe Bedeutung
österreichischer Künstler auf europäischer Ebene und der Porträtmalerei im Rahmen
des Kunstgeschehens am Wiener Hof ins Visier. Es geht bei ihm demgemäß auch – wie
später im Lauf des 19. Jahrhunderts im Rahmen der ganz ähnlich gelagerten Anregun-
gen des Malers Leopold Kupelwieser und des Kunsthistorikers Rudolf Eitelberger zur
Förderung einer Nationalkunst36 – um ökonomisch handfeste Fragen der Forcierung
der Kunsttätigkeit im eigenen Land. Dieser vitale theoretische Impuls konnte im Jahr
1768 konsequenterweise nur von einem versierten Akademiefunktionär mit gründ-
lichem Wissen um entsprechende institutionelle Sachverhalte und Zusammenhänge
geleistet werden. Der Porträtmaler als Idealtyp des im Dienst der Nation arbeitenden
Künstlers, wie er hier von Sonnenfels gezeichnet ist, wird konsequenterweise aus der
Antike heraus entwickelt und den anderen Gattungen der Malerei gegenübergestellt.
Der im Titel der Publikation verwendete Terminus „Verdienst“ kann allerdings erst
im Verhältnis zu anderen Schriften des Autors in seiner konkreten semantischen
Dimension erschlossen werden: Bereits im Jahr 1765 hatte Sonnenfels seine Betrach-
tungen über die Verdienste des Handelsstandes verfasst. Der deutlich meritokratische
Unterton im Gebrauch des Wortes „Verdienst“ dürfte auch darauf abzielen, dem Por-
trätmaler eine möglichst würdige Stellung innerhalb von Kunstleben und Gesellschaft
zuzuordnen. Daraus resultiert aber letztlich eine deut liche Funktionalisierung des
Künstlers und des Kunstbetriebs, da die Porträtmalerei nicht mehr die ihr quasi natür-
licherweise zukommenden Aufgaben übernehmen soll, sondern von Sonnenfels mit
einem zugespitzten Handlungsauftrag ausgestattet wird, eine neue, im Dienst des
Vaterlandes stehende Rolle auszufüllen, die seiner Einschätzung nach weit über die
Notwendigkeiten der quasiknechtischen, weil einer sklavischen Wiedergabe von Por-
trätähnlichkeit verpflichteten Zielsetzung hinausgeht. Mit dieser Ausrichtung ergeben
sich auch interessante Querverbindungen zu Sonnenfels’ bedeutendem Traktat Ueber
die Liebe des Vaterlandes (Wien 1771), das auf der Basis des Nationalstolzes gegen die
vermeintlich herrschende Staatsfeindschaft auftritt und davor warnt, Fürsten ohne
Differenzierung als Tyrannen hinzustellen.
Sonnenfels’ Schrift Von dem Verdienste des Portraitmalers sollte im breiten publi-
zistischen Medienspektrum in der Spätphase der Regierungszeit Maria Theresias nur
eine isolierte Rolle spielen. Ursprünglich war daran gedacht, der zwischen 1771 und
1786 ebenfalls bei Kurzböck verlegten Kaiserlich König
lichen allergnädigst privilegir-
ten Realzeitung der Wissenschaften, Künste und der Kommerzien – auch hier war
Sonnenfels neben Alois Blumauer, Ignaz de Luca und Johann Rautenstrauch einer der
prominenten Mitarbeiter – einen besonderen Platz in der Vermittlung literarischer
36 Telesko 2006, 314–315.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur