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Die Etablierung länderübergreifender Baunormen im habsburgischen Bauwesen 161
Die Initiative zu dieser „systematischen Disposition“ bzw. „Systemisierung“25 des
habsburgischen Bauwesens ging von Vinzenz Freiherrn von Struppi aus, der aus
Anlass der Gründung der Oberhofbaudirektion eigens von Triest nach Wien berufen
worden war und im folgenden Jahr einen Entwurf für die sogenannten Ingenieurs-
Directiva vorlegte.26 Neben Vorlagen für einheit
liche Formulare zur Abrechnung der
Baukosten27 enthielt das „Struppische Elaboratum“ vor allem Richtlinien zur Klassifi-
zierung der Verantwortlichkeiten aller Baubüros in den Kronländern: Zu betreuen
hatten diese künftig „gedekte Wohngebäude“ (diverse landesfürst liche Bauten und
Amtsgebäude, Wirtschaftsbauten, Kirchen und Klöster, Lust- und Ziergebäude),
„öffent liche Land=Gebäude“ (Straßen, Brücken, Planierungen, Pflasterungen und
Kanäle) und „See- und Wasser=Gebäude“ (Häfen, Quais, Molen, Dämme, Schleusen
etc.), soweit diese aus dem Aerarium finanziert wurden. Die Zuständigkeit der Ober-
hofbaudirektion für diese Bauten ließ sich in vier Klassen unterteilen – (I) in die lau-
fende Betreuung und den Erhalt der Bauten, (II) in außerplanmäßige Reparaturen und
Restaurierungen, (III) in die Errichtung von Neubauten und (IV) in die Beseitigung
unvorhergesehener Schäden durch Naturereignisse wie Feuer, Sturm, Hochwasser
oder Erdbeben.28 In Form einer Art Checkliste hielten die Ingenieurs-Directiva auch
eine Übersicht aller notwendigen Unterlagen für einen detaillierten Baubericht bereit.29
„Um die Architektur= Strassen= oder Wasser=Bau betreffende[n] gezeichnete[n]
Entwürfe auf eine klarre deütlich und zugleich uniforme Art zu verfassen“, wurde für
das zeichnerische Vokabular ein einheit
licher Farben- und Formenkanon vorgeschrie-
ben, an den sich alle Bauzeichner halten mussten, wobei die Farbcodes und kürzelhaf-
ten Zeichen vornehmlich der Kartographie entlehnt wurden. Als länderübergreifende,
allgemeingültige Maßeinheit galt künftig die Wiener Linie (rund 2,2 mm).30 Ausführ-
licher Erläuterung bedurfte auch der pfleg
liche Umgang mit den Plänen und Karten:
So durften sie keinesfalls gefaltet werden, sondern mussten gerollt in blechernen Büch-
sen oder auf hölzernen Walzen in Leinen eingeschlagen transportiert werden.
Im dritten Abschnitt wenden sich die Ingenieurs-Directiva personellen Fragen zu
und berühren damit den wohl heikelsten Punkt der von oben diktierten Richtlinien.
Struppi war sich dessen durchaus bewusst, wenn er schreibt: bei der Entwicklung
dieser so wichtigen Frage komme es nicht nur „auf die Gattung und Eigenschaft
deren Artisten, Handwerks= und Arbeitsleüten und ihre darunter verstandene
25 Zit. ein Schreiben von Generalhofbaudirektor Ernst Christoph Graf Kaunitz-Rietberg an Joseph II.
vom 13. Februar 1784; Wien, FHKA, NHK, Kaale Ö Akten 1613, fol. 41.
26 „Ingenieurs Vorträge und Entwürfe Welche dem Allgemeinen Ober Hofbau=Directions=Praesidio
zur Systematischen Disposition für das vereinbarte Kail: Königl: Hofbau Amt dann Brücken- und
Wasser=Bau=Amt als auch gesamte provincial= und alle Landesfürst liche Bau=Aemter von den
Ersten Assessor referirt werden“ vom 6. Februar 1784; Wien, FHKA, NHK, Kaale Ö Akten 1613,
fol. 459–476. Dazu auch Benedik 1996, 21, und ders. 2008, 183–184.
27 Wien, FHKA, NHK, Kaale Ö Akten 1613, fol. 440–453.
28 Ebenda, fol. 461.
29 Ebenda, fol. 462.
30 Ebenda, fol. 463r–467v.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur