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170 Markus Krajewski
überhaupt pflegen4 – nichts als die rein empirische Kenntnis der Ortschaften oder die
ebenso empirische wie verläss
liche Frage an Ortskundige, wo wer zu finden sei. Es ist
vor allem das von dem Bibliothekar Friedrich Adolf Ebert 1820 so gerühmte
„Lokalgedächtnis“,5 das die Navigation in den nummernlosen Gassen erleichtert.
Bevor sich zu Beginn des Jahres 1771 eine allein an Männer gerichtete Adresse nach
dem Schema Cnr. N (für Conscriptionsnummer n) an jedem Haus in- und auswendig
etabliert, bot das unadressierte Häusermeer günstige Schlupfwinkel nicht nur für
Delinquente und Deserteure. Demzufolge wird gegen jene, die den staat
lichen Zugriff
auf Wehrflüchtlinge zu erschweren helfen, indem sie „einen Hausen Numero
frevenntlich auslöscheten oder unkennbar macheten [,] eine ergiebige arbitrarische
Geld- und in ermangelnden Vermögen eine Leibes Straf“6 verhängt. Um diesem Frevel
stärker zu begegnen, soll endlich als Anreiz zum Ordnungshüten vom eingenomme-
nen Geld „dem Denuncianten das Drittel zugewendet werden“.7
Schon 1777 sieht die niederösterreichische Regierung Anlass zu einer erneuten
Durchnummerierung der Häuser. „Nachdem seit der letzten Conscription viele neue
Häuser aufgebauet worden, diese aber noch keine Numer haben dörften, und zum
Theile zwischen den alten Häusern stehen, so ist bey dieser Gelegenheit auf die Recti-
fication der Hausnumern zugleich zu sehen.“8 Neuzugänge sind indes folgender
maßen
zu kennzeichnen: „wenn zum Beyspiele zwischen den Häusern sub Nro. 12. und
13. drey neue vorgefunden würden“, so ist „das erste neue Haus mit 12.a, das zweyte
mit 12.b, das dritte mit 12.c“ anzuschreiben. Schließlich steigert das Konskriptions-
patent noch die Tiefe der Adressierung, indem es verfügt, „auch das weib liche
Geschlecht, und die Judenschaft nebst dem Zugviehe vollständig beschreiben zu
lassen“.9
Die erneute Nummerierung von 1777 verläuft durchaus erfolgreich, doch zeigen
sich im Laufe des folgenden Jahrzehnts weitere mnemo- und navigationstechnische
„Unzukömmlichkeiten“. So vollständig und sichtbar die einzelnen Nummern nicht
nur an, sondern auch in den Häusern angebracht sein mögen, lässt die nächsthöhere
Verzeichnisstufe doch jede verbind
liche Systematik vermissen: Es fehlt eine eindeutige
Bezeichnung einer jeden Gasse, Straße und Verkehrsfläche: „Die vielen […] große und
kleine Gäßen [,] deren Namen vor die meisten Menschen unwißend, sezen nicht allein
fremde, sondern auch hießige Innwohner, die nicht recht gut bekannt sind, wenn selbe
was zu suchen oder zu besehen haben, öfters durch vieles Nachfragen und Herum-
irren in solche Verlegenheit und Zeitverlust, daß man zu Erleuchtung des Publikums
die Verordnung zu ertheilen befunden hat, daß in einer jeden Gaße, ohne Unterschied
groß oder klein, an beiden Enden derselben, an das erste Haus mit großen schwarzen
4 Vgl. Löffler 1956, 11.
5 Ebert 1820, 14–15; vgl. zur weiteren Geschichte v. a. Jochum 1991, 15–16 und 20–21.
6 Hempel-Kürsinger 1826, 410.
7 Wien, WStLA, Patente, H 45/1771, Kundmachung des Bürgermeisteramtsverwalters und Rats der
Stadt Wien, 7. Jänner 1771; zit. nach Wohlrab / Czeike 1972, 335.
8 Zit. nach Hempel-Kürsinger 1825, 270.
9 Ebenda; vgl. zur vollständigen Erfassung der Zweitgenannten ab 1933 auch Aly / Roth 1984.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur