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180 Markus Krajewski
Der Prozess der Titelspeicherung und Übertragung auf fragmentierte Papiere geht
mit erstaun
licher Effizienz voran. Im Sommer 1780 sind bereits 31.596 Werke in
27.709 Bänden auf Zetteln verzeichnet, ein Jahr später sind mit weiteren 23.434 Titeln
alle Bücher vollständig beschrieben. Die Arbeitsleistung eines jeden Skriptors erfasst
der Präfekt dabei fein differenzierend in einer „Liste über die anzahl […,] welche […]
im Sommer 1780 in der Bibl[iothek] sind beschrieben worden“.62 Laut dieser Zwi-
schenbilanz verzeichnet der Autor der Instruktion, Adam Bartsch selbst, mit 4637
Werken in 5372
Bänden die meisten Bücher. Schließlich repräsentiert der Josephinische
Katalog, inklusive eines ausgeprägten Verweissystems, alle Texte der Bibliothek auf
ca.
300.000
Zetteln. Das erste Teilziel, die Titelaufnahme, wäre somit erfolgreich absol-
viert.
Fortschritt durch Stillstand
Der weitere Katalogisierungsplan sieht vor, die normalisierten und sortierten Zettel als
Grundlage für die Abschrift eines Bandkatalogs zu verwenden – zunächst in alphabe-
tischer Reihenfolge, dann nach Materien geordnet: „Aus eben diesen Zetteln, die
immer aufzubewahren wären, und auf die man nachher nur desto mehr Sorgfalt ver-
wenden müßte, daß sie nicht zerstreut würden, weil sie einzeln zerschnitten sind (Sie
sind dieser Gefahr am wenigsten ausgesetzt, wenn sie an einen Zwirnfaden angefasset
sind) könnte man auch mit der Zeit einen systematischen Materienkatalog machen,
ohne daß man genöthiget wäre, sich der mühsamen Arbeit neuerdings zu unterziehen,
die Bücher der Bibliothek noch einmal zu beschreiben.“63
Allein, die Arbeit am Bandkatalog wird nie aufgenommen. Trotz des Misstrauens
gegen die lose Anordnung der Zettel und ihre Tendenz, vor jedem Windstoß zu
fliehen,64 formiert sich das Personal der Hofbibliothek nicht zu einem erneuten Kata-
logisierungsschritt. Ohne dass sie durch Abschreiben zum Katalog als gebundenem
Buch überführt werden, verharren die Beschreibungen auf dem ursprünglich proviso-
rischen Datenträger loser Zettel.
Daher stellt sich die Frage nach der Zeitspanne, die verstreichen muss, bis die
Intention der Vorläufigkeit durch die Perspektive einer dauerhaften Nutzung abgelöst
wird. Seit Konrad Gessner wohnt jedem bibliothekarischen Zettelstapel ein lediglich
62 Wien, ÖNB, Akt HB 126/1780, 2. Teil.
63 Bartsch 1780 (Petschar / Strouhal / Zobernig 1999), 132.
64 Albrecht Kayser 1790, 49, empfiehlt deshalb gegen diese Zufälle: „Je mehr man Repositorien durch-
gearbeitet hat, desto größer wird natürlich der Haufe von Titelzetteln. So bald der leztere zu sehr
anschwillt, ist es rathsam, die Titel Eines Buchstaben von den übrigen abzusondern, so viele Haufen
zu machen als das Alphabet Buchstaben hat, und erstere nach der Folge des lezteren auf einen Tisch
zu rangiren. Steht der Tisch an einem Orte, wo keine Zugluft oder kein anderer Zufall die Zettel aus
ihrer Lage bringen kann, so dünkt mich derselbe dien licher als ein Schrank zur Aufbewahrung der
Buchstabenhaufen. Die Fälle sind zu gemein, wo ich in einem solchen Haufen etwas nachzusehen
habe. Auf dem Tische ist mir ieder sogleich bey der Hand. Aus einem Schranke muß ich ihn erst
herausnehmen und mich um einen Ort für ihn umsehen wo ich ihn hinlegen und durchsuchen kann.
Dies verursacht Zeitverlust.“
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur