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202 Thomas Wallnig
Gelehrsamkeit. Dieses Bild wird in der Folge, unter bewusster Vermeidung narrativ-
biographischer Darstellungen,3 im ersten Abschnitt anhand eines Textvergleiches ana-
lysiert (I). Will man aber die Voraussetzungen dieses Bildes ergründen, so bietet sich
das zweibändige Werk Das gelehrte Österreich von Ignaz de Luca an, das 1776/1778
eine umfassende Bio-bibliographie der habsburgischen Länder bot und somit den
imaginären Raum habsburgischer Gelehrsamkeit kartierte. Mit diesem Werk wird in
zwei Schritten gearbeitet. Zuerst wird der Text als Personennetzwerk analysiert (II),
anschließend wird der angesprochene geographische Raum visualisiert (III).
Es folgen drei Gegenproben zur „Verortung“ von Wien und seiner Gelehrsamkeit
anhand von digital aufbereiteten historischen Quellenbeständen: einmal die Druck-
orte der vom Verleger Johann Thomas Trattner, Edler von Trattnern 1777 in Wien
angebotenen Werke (IV), dann die Referenzorte der Göttinger Anzeigen von gelehrten
Sachen aus dem Jahr 1780 (V) und schließlich die Korrespondenznetzwerke, die sich
zu drei namhaften Gelehrten aus der Korrespondenzdatenbank Kalliope extrahieren
lassen (VI). Anschließend wird anhand einiger einfacher Beispiele aus dem Wien[n]
erischen Diarium gezeigt, welches Potenzial korpuslinguistische Ansätze in diesem
Bereich haben könnten (VII), ehe abschließend eine Reflexion über das entstandene
Bild angestellt wird.
Der vorliegende Text leidet unter den Beschränkungen, die digitale Fallstudien oft
zu gewärtigen haben: Das Datensample ist nicht arbiträr gewählt, aber doch klein und
an einigen Stellen auch nicht repräsentativ; die Daten wurden in dem Bewusstsein
extra hiert, dass sie nicht in jedem einzelnen Fall eindeutig sind; und einzuwenden
bleibt, dass bei Weitem nicht alle Möglichkeiten der digitalen Datenanalyse aus-
geschöpft wurden.
Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass die digitalen Vignetten das bekannte
Bild – das Pantheon mit Ignaz von Born, Nikolaus Joseph von Jacquin, Carl Anton
Martini, Josef Anton Stefan von Riegger, Joseph von Sonnenfels, Gottfried van Swieten
und anderen – in bemerkenswerter Weise bestätigen und zugleich relativieren: Was als
gesamteuropäische und „deutsche“ Dimension bei De Luca noch angelegt, aber nicht
hervorgehoben war, ist im heutigen Narrativ weitgehend zugunsten einer Dimension
des „habsburgischen Zentraleuropa“ verschwunden. Die Dekonstruktion des zweite-
ren könnte in Zukunft mit einer Rekonstruktion der ersteren einhergehen.
I. Narrativ, heute: Hamann und Vocelka
Will man sich schnell einen fundierten Überblick über die Protagonisten des Wiener
bzw. österreichischen Wissenschaftsbetriebes um 1780 verschaffen, so findet man mit
Glanz und Untergang der höfischen Welt von Karl Vocelka eine geglückte und
3 Biographische Information zu allen in der Folge genannten Personen findet sich online unter: https://
www.deutsche-biographie.de [28.02.2019]; dieses Portal enthält die einschlägigen Artikel der All-
gemeinen Deutschen Biographie und der Neuen Deutschen Biographie. Nicht selten fußen die bis
heute verwendeten biographischen Angaben auf teilweise fehlerhaft tradierten zeitgenössischen
Darstellungen: Wallnig / Wallnig 2017.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur