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224 Debora J. Meijers
Öffentlichkeit (‚public‘) unmöglich“ machte.47 Tatsächlich kann mit Kaunitz’ Äuße-
rung über „l’oeuil [sic] de la multitude“ genauso gut der Geschmack der neuen Besu-
cher wie der der Standespersonen gemeint sein.48
Durchaus geringschätzend klingt der Begriff jedoch bei Kabinettsadjunkt Karl
Haidinger, der in der Eintheilung der k. k. Naturaliensammlung von 1782 darauf hin-
weist, dass die allgemeine Zugänglichkeit die konsequente Durchsetzung der von ihm
beabsichtigten lehrreichen, systematischen Anordnung des Kabinetts verhindert hatte.
Er musste „dem grossen Haufen“, der „sich gemeiniglich von dem äussern Glanze
hinreissen lässt“, Rechnung tragen. Deshalb hatte er in den Vitrinenkästen „zur Befrie-
digung des Neugierigen, […] die grösseren, auffallenden, und glänzenden Schau-
stücke“ in einer symmetrischen Anordnung ausgestellt, was mit sich brachte, dass
nicht immer die richtige Reihenfolge der Arten beibehalten werden konnte. In den
geschlossenen Schubladen war dies hingegen glück licherweise durchaus möglich,
„und der Wissbegierige wird die Verschiedenheit der natür lichen Körper, die er studie-
ren will, der Kenner aber die lehrreichen, diesen, oder jenen Zweifel aufklärenden
Stücke nur in diesen dem Auge der Profanen verborgenen Behältnissen aufsuchen
müssen […]“.49 Interessant ist, dass sich Haidinger in einer Zeit der zunehmenden
Öffentlichkeit für den Wert des Verborgenen und den Rückzug aus dem „nichts-
bedeutenden Lärm der Welt“ ausspricht.50 Der Ruf nach Stille ertönt hier bereits in
einem wissenschaft lichen Kabinett im Jahr 1782 und stammt also nicht erst aus dem
(Kunst)Museum des 19. Jahrhunderts. Allerdings erhielt dieses Bedürfnis unter dem
Einfluss der romantischen Kunstbetrachtung einen zusätz lichen Ansporn. In der
Bildergalerie schürte die nachdrück
liche Anwesenheit des allgemeinen Publikums
sogar das Ideal stiller Kontemplation, jetzt in der romantischen Form, die seit etwa
1800 bei Künstlern und Kennern aufgekommen war. So wies Füger 1813 darauf hin,
dass durch die Begrenzung der allgemeinen Öffnungstage und die Einführung von
Eintrittskarten „den gebildeten Ständen des Publicums […] der Genuss der Galerie
um so viel angenehmer werden [wird], der nur bei geräuschloser Betrachtung der
Kunstwerke stattfinden kann.“51
47 Kernbauer 2007, 146–147.
48 Die Kontroversen über Mechels systematische Einrichtung der k. k. Bildergalerie aus den Jahren um
1780 bezeugen dies bis zu einem gewissen Grad; vgl. Meijers 1995, Abschnitt 3.
49 Haidinger 1782, Vorrede (nicht paginiert; 12–15). Das Buch beschreibt die neue, systematische
Anordnung, die der Mineraloge und Freimaurer Ignaz von Born in den vorangegangenen Jahren im
Naturalienkabinett vorgenommen hatte.
50 Ebenda. Das Zitat geht weiter mit: „so wie man etwa den von seinen Mittbürgern verkannten Weisen,
der, zufrieden durch seine Kenntnisse etwas zur allgemeinen Aufklärung beytragen zu können, sich
dem nichtsbedeutenden Lärm der Welt entzogen hat, in seinem Winkel aufsuchen muß, wenn man
ihn nützen, oder sich durch ihn belehren lassen will.“
51 Wien, HHStA, OKäA, Akt Nr. 686 ex 1813; zit. nach Lhotsky 1941−1945, 488. Vgl. auch den Kunst-
kenner und -sammler Johann Gottlob von Quandt, der, als er 1813 die Hofgartengalerie in München
besichtigen wollte, zu seiner Freude zu Zeiten kommen durfte, „welche nicht für das Publicum
bestimmt sind. […] wenn nicht so Viele sich um mich herum bewegen, welche diesen Ort nur um
gesehen zu werden besuchen, wenn ich nicht die oft ausgesprochenen Kunstformeln hören muss“.
Meijers 2016, 43, zit. nach Granzow 2006, 539.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur