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3. Spitalordnungen als Problem der Spitalforschung 45
tematisch auch das Spital. Neben der Anzahl der Spitalherren wurden in Joachimstal
wöchentliche Visitation, wöchentliche Predigten im Spital (am Montag), Bibellesungen
bei Tisch und Übernachtungsmöglichkeiten für fremde Bettler festgelegt135. Während
in vielen reformierten Städten die „Gemeinen Kästen“ die Spitäler (ab 1556 Verbot des
Grundstückerwerbs für württembergische Spitäler) übernahmen, verlief die Entwicklung
am Beispiel des Tübinger Spitals genau umgekehrt, dort konnte sich das Spital 1539 orga-
nisatorisch den „Gemeinen Kasten“ (und damit auch die offene Armenfürsorge) einverlei-
ben136. Das nachreformatorisch seitens des Landesfürsten verstärkt kontrollierte Tübinger
Bürgerspital blieb dagegen, wie beispielsweise die meisten württembergischen Spitäler,
in der Praxis von der Armenversorgung getrennt. Auch unter calvinistischer Landesherr-
schaft entstanden Spitalordnungen, die das Spital als der Kirchengüterverwaltung norma-
tiv unterstehend abbilden: Nach einer landesfürstlichen Visitation entstand beispielsweise
eine neue Hausordnung für das Hauptspital in Heidelberg (1594)137 oder Ordnungen für
die Kurpfälzer Spitäler von Branchweiler (1599)138 und Germersheim (1599)139.
Die Konfessionalisierung führte zu verstärkter Gründung von nun eindeutig katholischen
und eindeutig reformierten (evangelischen/calvinistischen) Spitälern, deren divergieren-
des Gebets- und Speiseprogramm140 in detaillierten Spitalordnungen niedergelegt wurde.
Viele Spitäler im Heiligen Römischen Reich weisen, um die Spiegelachse der Reformation
gedreht, eine vorreformatorische Ordnung und eine nachreformatorische Ordnung auf:
Ein Vergleich der vorreformatorischen Spitalordnung des Dresdner Jakobspitals von 1536
und von 1595 offenbart neben einem deutlich gewachsenen Umfang auch inhaltliche
Veränderungen. Während die Dresdner Spitalordnung von 1536 noch dem „do-ut-des“-
Prinzip verpflichtet war, zeigt die Ordnung von 1595 neben der intendierten „Verbesse-
rung“ der Fundationsvorschrift ein deutliches Betonen des „rechten Glaubens“141. Auch
in anderen Spitälern gibt es Spitalordnungen, die auf die zementierende Ausformung der
Konfessionskulturen im 17. und 18. Jahrhundert reagierten, wobei sich Änderungen der
Spitalordnungen vielfach als zunehmende „Detaillierung der ursprünglichen Norm“142
ausgaben: Das Beispiel der Spitalordnung in der Würzburger Amtsstadt Karlstadt von
1616143 belegt dies gut, wie auch der Vergleich der Spitalordnungen des Ingolstädter Hei-
135 Loesche, Spitalordnung von Joachimsthal 49–53.
136 Zur Kastenordnung von 1536 (zweite Kastenordnung 1552 und dritte Kastenordnung 1567)
Aderbauer, Das Tübinger Spital 74.
137 Edition der „Spitalordnung zu Heidelberg“ (20. März 1594): Bergholz, Die evangelischen Kir-
chenordnungen 19/2 825–839 (Erläuterung 700): Die Ämter des Spitalpredigers, des Spitalmeisters und seiner
Frau, des Arztes wie des Wundarztes, des Spitalschreibers, der Krankenwärterin und die Rechte und Pflichten
der Insassen sowie die Inspektion des Spitals durch den landesfürstlichen „kirchengüter- und gefellenverwal-
tern“ werden festgelegt.
138 Bergholz, Die evangelischen Kirchenordnungen 19/2 893–901.
139 Ebd. 902–909. Zu Spitalvisitationen in Zweibrücken und Kurpfalz Mussgnug, Kurpfälzische Nor-
men 83–85.
140 Am Beispiel der Speiseprogramme (Fastentage, Kalender, Kalenderreform usw.) Krug-Richter,
Zwischen Fasten; Kühne, Essen und Trinken 297–304 (Aufstellung der verwendeten Speiseordnungen);
Kleinschmidt, Essen und Trinken. Als immer noch beeindruckendes „Vorbild“ der Auswertungen von Spital-
quellen vor allem Dirlmeier, Untersuchungen 308–310.
141 Stanislaw-Kemenah, Spitäler 417–463, bes. 418–423 (Edition 1536 479–485; 1595 495–510).
142 Hatje, Frühneuzeitliche Quellen 510.
143 Emmert, Kirche und Frömmigkeit 228–232.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin