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VI.9 Steiermark: Leoben – Bürgerspital (Kommentar Nr. 66–67) 199
Die Spitalkirche zur hl. Elisabeth, die im Jahr 1372 geweiht wurde und die nach mit-
telalterlichem Kirchenrecht eine Einheit mit dem Spital bildete, wies zwei Etagen auf und
konnte im Erdgeschoß sowohl von der Straßenseite von Gläubigen der Waasenvorstadt,
von der Hofseite als auch vom Obergeschoß von den Insassen durch eine schmale Tür
direkt vom Spitalgebäude aus betreten werden. Da ein Teil der Pfarrangehörigen bevor-
zugt den Gottesdienst in der Spitalkapelle besuchte und dort überdies Messen stiftete,
bedeutete dies jedoch eine Schwächung der Pfarrkirche und deren Einnahmen. Neben
der hl. Elisabeth scheint in den Quellen überdies der hl. Geist als Patrozinium auf, was
sich mit einer eventuellen frühen Lokalisierung einer gesonderten Kapelle im Siechenhaus
erklären lässt, doch gibt es in der Forschung diesbezüglich noch keinen Konsens. In den
langen Jahren der religiösen Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten litt auch
die Spitalkirche, die vom Pfarrer von Maria Waasen am Freitag nicht mehr betreten wer-
den durfte. Neben den verschlossenen Türen hinderte man die Insassen an der Beichte
und versagte dem Spitalmeister das Geld für die Hostien und die Beleuchtung der Altäre.
Im Jahr 1610, nach 70 Jahren Protestantismus in der Stadtverwaltung, war das Kirchen-
gestühl in äußerst schlechtem Zustand und die Messgewänder sowie Chorröcke zerris-
sen. Nach einer genauen Untersuchung durch den rekatholisierten Stadtrat ließ dieser
die schlimmsten Mängel rasch beseitigen. Das nur dürftig ausgestattete Gotteshaus, das
zusätzlich unter Brandschäden zu leiden hatte, musste aufgrund seiner Baufälligkeit 1792
zur Versteigerung ausgeschrieben werden; die Entweihung nahm ein Geistlicher im Mai
1793 vor. Als Ersatz ließ der Rat eine neue Kapelle und eine Leichenkammer einrichten,
das ehemalige Kirchlein wurde im 19. Jahrhundert als Feuerspritzenmagazin genützt14.
Verwahrloste die Kapelle zur hl. Elisabeth in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
zusehends, so musste sich der Rat zumindest um die Renovierung des Spitals kümmern.
Im Jahr 1573 informierten Richter und Rat Erzherzog Karl II. über den ruinösen Zu-
stand, der 500 fl. aus der landesfürstlichen Maut für die notwendigen Reparaturen trans-
ferieren ließ. Ein großes Wappengemälde an der Nordfront des straßenseitigen Flügels
erinnerte bis zur Aufstockung des Bürgerspitalgebäudes im Jahr 1856/1858 an den groß-
zügigen Spender und seine Ehefrau, dessen Memoria immerhin beinahe 300 Jahre be-
wahrt blieb. 1605 bis 1607 konnten noch zwei weitere Zimmer eingerichtet werden, die
zwölf Personen Platz boten15.
Wurden die ersten Spitalmeister noch von der Stifterfamilie Pierer eingesetzt, so hatte
der Rat seit dem Ende des 15. Jahrhunderts das Recht, dieses Amt in seinem Sinn zu
besetzten. Bis zu den Verwaltungsreformen unter Karl VI. und unter Maria Theresia war
es kaum problematisch, nicht über die Fähigkeit des Lesens und Schreibens zu verfügen.
Bisweilen wurde diese Unkenntnis von erfolgreichen Handwerksmeistern lediglich vorge-
täuscht, um dem ungeliebten Amt zu entkommen. Oder wie sich manche der Gewählten
entsetzten: „Dessen er aber wenig froh gwisen“16, da sie offene Beträge des Bürgerspi-
tals zunächst aus eigener Tasche zu begleichen hatten. Der Spitalmeister hatte außerdem
keinen irdischen Lohn zu erwarten, sondern wurde traditionellerweise auf das großzü-
gige und ferne Jenseits vertröstet. Neben der exakten „Buchhaltung“ des Hauses hatte
14 Huber-Reismann, Medizinische Versorgung der Stadt Leoben 51f.; Abendstein, Leobener Bür-
gerspital 43–45; Weiss, Den Kranken zum Heile 25f.
15 Huber-Reismann, Medizinische Versorgung der Stadt Leoben 47f.; Abendstein, Leobener Bür-
gerspital 42f.; Vlasaty, Spital 36; Weiss, Den Kranken zum Heile 26f.; Wichner, Heilwesen 65.
16 Zit. nach Huber-Reismann, Medizinische Versorgung der Stadt Leoben 28.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin