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VI.10 Steiermark: Ligist – Herrschaftsspital (Kommentar Nr. 68)
Das kleine herrschaftliche, etwas abseits gelegene Spital in Ligist wurde im Jahr 1642
von Karl Graf Saurau gestiftet (†1648)1 und beherbergte um 1770 acht Frauen, die zur
Arbeit verpflichtet waren (Edition Nr. 68, S. 699f.). Der kleine Markt – lediglich vier
Meilen von Graz entfernt – lag am gleichnamigen Bach und zählte Ende des 18. Jahr-
hunderts kaum 50 Häuser, das Schloss der Grafen Saurau, ein Eisenhammerwerk und
eine Sensenschmiede. Vier Mal im Jahr wurde Markttag gehalten und die Erträge der
Viehzucht sowie der Landwirtschaft galten als zufriedenstellend (wird daselbst sehr schöner
Haber geerndet)2.
Wie aus dem Testament des Karl Grafen Saurau vom 25. März 1642 abgelesen wer-
den kann, war das Spitalhaus ursprünglich geschlechtsneutral für acht recht arme leuth
oder persohnen vorgesehen, die künftig vom Schloss Ligist mit allen nothwendigkeiten von
kleydung, speissen, holz, und winters-zeit ihren teckhen, wie es auf solche arme leuth gehörig,
versorgt wurden3. Im Jahr 1729 befanden sich nur Frauen im Haus, an denen die Herr-
schaft ihre gelebte spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Caritas demonstrieren wollte. Die
aufgenommenen Personen durften nicht „elend“ oder schwer krank sein, vielmehr waren
Armut und die Nähe zur Herrschaft entscheidend für die Aufnahme. Die Frauen erhiel-
ten monatlich Fleisch, Brot, Mehl, machet, Salz (die jährlichen Ausgaben betrugen ohne
Holzdeputat 114 fl. 5 ß. 23 den.) und zusätzlich Kleidung, Leinwand und jährlich ein
Paar Schuhe. Neben zwei jüngeren Frauen (29 und 30 Jahre alt) wurden in diesem Jahr
nur alte Frauen im Alter von 60 bis 84 Jahren verpflegt. Das im Erdgeschoß gemauerte
Spital – der erste Stock mit einer großen Kammer blieb unbewohnt – verfügte über einen
Acker und einen Garten, der von den Insassinnen bestellt werden musste4.
In den folgenden Jahrzehnten lässt sich die Anstalt archivalisch nicht mehr näher
nachweisen und auch in der bekannten theresianischen Stiftungs-Haupttabelle der im
Herzogtum Steiermark befindlichen Spitäler, Armen- und Waisenhäuser aus dem Jahr
1756 findet sich erst in den Ergänzungen zum Marburger Kreis die Erwähnung des
Marktes Ligist5. Fehlen uns auch im Fall Ligist die „klassischen“ Hospitalstatuten, so
wurden der Nachwelt neben der hier edierten Arbeitsordnung überdies die Namen der
gerade zu diesem Zeitpunkt im Haus lebenden Frauen überliefert. Alle weiber waren erb-
holdinnen der Herrschaft Ligist, wobei das Alter von 36 bis 90 Jahre variierte. Das Spital
bot eine Langzeitversorgung und mehrere Frauen lebten bereits zwischen 15 und 18 Jahre
in der Versorgungseinrichtung. Sie waren in der Regel in ganzen leib müheseelig, manche
auch täppicht, therisch, […] contract, […] schlecht in füsen, […] krump. Die jüngste Be-
wohnerin hatte schlechte augen und nur so viel sehend, daß sie allein gehen konnte; eine Frau
1 Klug, Wirtschaft 84f. sowie Ortsplan des Marktes Ligist um 1825 (53 Nr. 27 Spital); Trummer,
Siedlungsraum 81 (Katasterplan Ligist 1823, Nr. 27); Wichner, Heilwesen 65.
2 Kindermann, Abriß 138, Zitat 138; ders., Repertorium 363.
3 StLA, Weltliche Stiftungsakten 83, Teil 2, K. 302, fol. 723r–724v, Extract aus dem Testament des
Karl Graf Saurau, 1642 März 25; Weltliche Stiftungsakten 54, K. 193, o. Nr., Extract aus dem Testament des
Karl Graf von Saurau, 1642 März 25.
4 StLA, Weltliche Stiftungsakten 54, K. 193, Nr. 2.
5 StLA, RuK, Fasz. 127 I, K. 400, fol. 55r–69r; Valentinitsch, Armenfürsorge 99, 112–114, hat
diese Nachträge nicht in seine Standortskizze und in seine Beilagen 1 sowie 2 aufgenommen; richtig hingegen
die Angaben bei Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 46f. Unrichtig ist allerdings die Annahme bei Watzka (ebd.
23), dass das Spital seitens der Marktgemeinde gegründet worden wäre.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin