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VI.13 Steiermark: Rottenmann – Bürgerspital (Kommentar Nr. 71) 213
zum großen Teil aus Handwerkern, die keine besonderen Voraussetzungen mitbringen
mussten. Erst nach den staatlichen Reformen im 18. Jahrhundert hatten die Kandida-
ten 100 fl. als Kaution zu erlegen und über die Fähigkeit des Lesens und Schreibens zu
verfügen. Die Mitarbeit des Stadtschreibers blieb weiterhin unverzichtbar, da er die not-
wendigen „Schreibereyen“ zu erledigen hatte. Vereinzelt gehörten die Spitalmeister dem
Äußeren oder Inneren Rat an oder hatten zuvor als Stadtrichter fungiert und waren somit
angesehene Bürger. Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass die Tätigkeit wie
in vielen anderen Städten und Märkten äußerst unbeliebt war, da der Spitalmeister die
offenen Rechnungen zu begleichen hatte. Bisweilen hintertrieben auch die Ehefrauen die
mögliche Amtsausübung, da ihre rechtlichen Ansprüche an das Vermögen ihres Mannes
jenen des Spitals nachgereiht wurden. So wurde z. B. Joseph Hierzegger im August 1743
vor den Rat geladen, um den Rest der Spitalrechnung in der Höhe von 237 fl. 37 xr.
3 den. zu begleichen; zusätzlich hatte er 100 fl. aus der Spitalkasse entlehnt. Sein Ge-
samtvermögen belief sich jedoch nur auf magere 660 fl.5. Um derartige Probleme zu ver-
meiden und den Tätigkeitsbereich der Spitalmeister (die Ordnung der haußwürthschafft)
festzulegen, wurden ihnen wiederholt Instruktionen in die Hand gegeben. Die Dienstin-
struktion des Jahres 1677 (Edition Nr. 71, S. 708f.)6 – vermutlich für den Schwarzfärber
Paul Mosser7 – regelte in neun von zehn Punkten vornehmlich Fragen der finanziellen
Gebarung und die Aufsicht über das Dienstpersonal (mayrleith). Lediglich § 7 mahnte
von der Spitalmeisterin guette obsicht ein, damit im Haus die Geldsammlung von den
Insassen nicht veruntreut wurde. Im Falle Rottenmanns drängt sich die Frage auf, ob
die Armen nicht zur bloßen ökonomischen Einheit verkamen, die ansonsten sich selbst
überlassen blieben8.
Das Stumm-Sein der Armen in den Spitalmeisterinstruktionen lud förmlich dazu
ein, dass man ihrer in der täglichen Amtsausübung, die in der Regel unbesoldet erfolgte,
vergaß und die einlangenden Gelder für eigene Zwecke missbrauchte. Der erwähnte Fär-
ber und Spitalmeister Joseph Hierzegger (1730–1737, 1739–1743) ließ scheinbar seine
Schutzbefohlenen Hunger und Kälte leiden, wie sein Nachfolger, der Sensenschmied
Johann Michael Schröckenfux (1745–1756, 1758–1764, 1766, 1768), der Behörde zu
berichten wusste. Er selbst wollte „auf der armen ihren gegen den Himmel tringenden
schreyen und rueffen“ hören, doch sah er sich nicht nur mit Lob in Verbindung gebracht,
sondern ebenso mit Vorwürfen konfrontiert9. In den 1780er Jahren geriet die karitative
Anstalt erneut in Verruf, da Spitalmeister Joseph Strobl (1776–1782) den Insassen das
Brennholz vorenthielt. Sogar der Rat musste die müßlichen umstände des Färbermeisters
konstatieren, der sein Vermögen verloren hatte und für die Spitaleinnahmen und -ausga-
ben nicht mehr haften konnte. Wie eine eigens eingesetzte Untersuchungskommission
feststellen musste, hatte der frühneuzeitliche Amtsträger die Kasse bis auf den letzten
Kreuzer geplündert, einen Fehlbetrag, den er nunmehr rasch zu ersetzen hatte10.
5 Ebd. 69–72.
6 Ebd. 74f.; StLA, A. Rottenmann, K. 6, H. 146 (RP 1677), pag. 62–65, Instruktion für den Spital-
meister (Spital Maria am Rain) in Rottenmann, 1677 Juli 31.
7 Arlic, Spital Maria am Rain 73 (Spitalmeisterliste).
8 Diese These fußt auf Valentinitsch, Armenfürsorge 108; Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 119.
9 Zit. nach Arlic, Spital Maria am Rain 76; Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 57.
10 StLA, Weltliche Stiftungsakten 70, K. 216, Nr. 175, Richter und Rat der Stadt Rottenmann an das
innerösterreichische Gubernium, 1782 April 15; Protokoll der Untersuchungskommission, 1782 Mai 29.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin