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VI.13 Steiermark: Rottenmann – Bürgerspital (Kommentar Nr. 71) 215
handen war, das von einem erhöhten Standpunkt einen Blick in die Kirche auf den Al-
tarraum ermöglichte, ist nicht gesichert, aber durchaus wahrscheinlich. Außerdem gab
es einen großen Saal, eine Kammer als Unterbringungsort für das persönliche Habe der
Armen und den Getreidekasten. Im Hof standen eine Hütte und der Brunnen; die Ba-
destube, der Kuh- und der Pferdestall waren hingegen durch das Feuer völlig zerstört
worden. Durch die Aufgabe der Meierei dachte man jedoch nicht an eine Wiederherstel-
lung der Wirtschaftsgebäude. Als der gewählte Spitalmeister Mathias Hoffer mehr als vier
Jahrzehnte später erstmals das Haus betrat, schien er entsetzt zu sein über den miserablen
Bauzustand des Gebäudes und auch die Ausdünstungen der Insassen ließen ihn zurück-
schrecken11.
Nicht nur die Beziehung zwischen Rat und Spitalmeister erwies sich bisweilen als kon-
fliktträchtig, sondern überdies die Zusammenarbeit mit dem Chorherrenstift, mit dem die
Stadt gemeinsam die Spitalkirche zu verwalten suchte. Sollten größere Schäden behoben
werden, schob man sich gegenseitig rasch die Verantwortlichkeit zu. Im Sommer 1647
entzündete sich ein größerer Streit zwischen den beiden Parteien, wer für die Kosten der
Kirchdachreparatur aufzukommen hatte. Da das Dach einzustürzen drohte und die Abhal-
tung der Messe gefährdet war, sollte rasch eine Lösung gefunden werden. Sogar eine von
Kaiser Ferdinand III. eingesetzte Kommission konnte jedoch zunächst keine Lösung er-
zielen, da Propst Bartholomäus Ferdinand weiterhin Vorwürfe gegen Richter und Stadtrat
erhob. Er beklagte, dass das Stift für die Abhaltung der Messe nur sehr geringe Einkünfte
erhielt, keinerlei Einfluss auf die Verwaltung hatte, nur mehr Frauen und Männer mit
Vermögen in das Spital aufgenommen wurden und „gar lutherische Perssonen, welche nit
Wirdig sein“ im Haus wohnten. Er stieß sich ferner an der Disziplinlosigkeit der Armen
und lehnte aus diesen Gründen eine teilweise Übernahme der Reparaturkosten schlicht-
weg ab. Die landesfürstliche Kommission ließ sich allerdings vom geistlichen Lamento
nicht beeindrucken und entschied am 18. Dezember 1648, dass die entstehenden Unkos-
ten zwischen Stadt und Chorherrenstift zu teilen waren. Zusätzlich wurde ein Opferstock
errichtet, dessen Einnahmen der Erhaltung der Kirche zweckgewidmet waren12.
Auch die Spitalkirche Maria am Rain sollte die Reformpolitik Josephs II. nicht über-
dauern: Am 12. August 1789 verfügte das Kreisamt Judenburg die Sperrung des Gottes-
hauses – die Auflassung des Spitals stand bereits 1787 zur Debatte13 – und ordnete die
Erstellung eines Schätzinventars an. Im März 1794 konnte das zum Abbruch freigege-
bene Gebäude zunächst versteigert werden, doch überließ bereits 1798 der bürgerliche
Schuhmachermeister Johann Paul Egger der Pfarrgemeinde den Sakralbau kostenlos. Mit
Zustimmung der Hofkanzlei vom 20. September 1798 durften wieder Messen abgehalten
werden, welche auch die Spitaler besuchen konnten14.
Die Zahl der bürgerlichen und nichtbürgerlichen Insassen15 unterlag in Rottenmann
großen Schwankungen und konnte zwischen acht und mehr als 20 Personen betragen.
Allerdings darf man nicht von einer geregelten Versorgung der Armen ausgehen, denn wie
11 Arlic, Spital Maria am Rain 84f.; Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 106; StLA, Weltliche Stif-
tungsakten 70, K. 216, Nr. 1, Beilage, 1728 Juni 30. Juni; Nr. 4; Visitation des Spitals in Rottenmann, Johann
Adam Felix von Mainersperg, 1730 April 12.
12 Arlic, Spital Maria am Rain 152–154; Vlasaty, Spital 45f.
13 StLA, A. Rottenmann, K. 13, H. 312, Schreiben an das Kreisamt Judenburg, 1787 Juli 23.
14 Arlic, Spital Maria am Rain 155–160.
15 Watzka, Arme, Kranke, Verrückte 105. Der Autor wählte für seine Stichprobe das Jahr 1728 (4
Bürger/innen zu 13 Nichtbürger/innen).
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin