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IX.1 Wien: Wiener Bürgerspital (Kommentar Nr. 144–190) 279
IX.1 Wien: Wiener Bürgerspital (Kommentar Nr. 144–190)
Bei keinem der österreichischen Bürgerspitäler klaffen die Bedeutung des Hauses und der
unzureichende Forschungsstand (bzw. auch die unzureichende, eine Bestellung der Archi-
valien hochgradig erschwerende Ordnung der Archivalien im Depot) stärker auseinander
als beim Wiener Bürgerspital1. Das Wiener Bürgerspital (zwischen 1530 und 1784 in der
Wiener Innenstadt gelegen) war das mit Abstand größte frühneuzeitliche Spital auf heute
österreichischem Boden, lediglich das wesentlich kleinere, im Bereich der Residenz ange-
siedelte kaiserliche Hofspital2 vermochte mit dem Wiener Bürgerspital bezüglich Größe,
organisatorischer Ausdifferenzierung und Bedeutung zu konkurrieren. Im Rahmen des
umfangreichen Beitrages „Wien“ im „Universal-Lexikon“ des sächsischen Lexigraphen
Johann Heinrich Zedler wird das Wiener Bürgerspital folgendermaßen im Zustand des
18. Jahrhunderts beschrieben: „Dieses Hospital ist ein grosses, weitläuffiges und prächti-
ges Gebäude, worinnen an die 3.000 arme Bürgers-Leute reichlich und wohl unterhalten
und verpfleget werden, weswegen es mit sehr vielen und reichen Revenüen versehen ist.
Die Einrichtung in solchem ist unvergleichlich und die zu derselben Erhaltung gemachte
Anstalten überaus accurat. Es ist in demselben alles zu finden, was in dergleichen Häusern
nöthig ist, als eine wohlbestellte Apothecke, ein gutes Brau-Hauß, in welchem gutes Bier
gebrauet wird, ein curiöse Ochsen-Mühle, so von vier Ochsen getreten und getrieben
wird; dahero werden deren etliche dreyßig gehalten, damit die Arbeit immer fortgehen
und das Vieh abgelöset werden kan; ein Back-Hauß, ein Maltz-hauß und dergleichen“3.
Von der mit einem Allerheiligen-Patrozinium versehenen Pfarrkirche heißt es: Sie ist
„ziemlich groß und weitläuffig, und schön gebauet, und sind selbiger vornemlich schöne
Altäre zu sehen. Es werden auch in solcher verschiedene Reliquien verwahret [...]. Diese
Kirche wird übrigens von besondern hierzu verordneten Geistlichen verwaltet“4.
Das Anwachsen der Stadt Wien im 12. und 13. Jahrhundert (etwa auch die Residenz-
bildung der Babenberger) ließ die Armen- und Altenunterstützung der Stadt wichtiger
werden. Neben den Klöstern, den Bruderschaften, den Handwerkszünften und Zechen
wurden nun verstärkt auch kommunale Einrichtungen geschaffen, wo Bürger und Rat als
Stifter hervortraten5. Die multifunktionalen Spitalgründungen (etwa als „locus credibilis“)
erfolgten aus topographischen und hygienischen Gründen in der Vorstadt (Heiligengeist-
spital seit 1209, das Bürgerspital vor dem Kärntnertor seit 1253/1257, Martinspital vor
dem Widmertor seit 1327)6. Der Stadtrat von Wien stand bei den Spitälern immer wieder
auch in Konkurrenz zum Hof bzw. auch zu landesfürstlichen Einrichtungen. Zudem ge-
lang es Gruppierungen (wie den Fernhändlern) dominierenden Einfluss im Bürgerspital
im 14. Jahrhundert auszuüben. Das Wiener Bürgerspital avancierte zum „Kristallisati-
1 Ein mit Oktober 2013 begonnenes FWF-Projekt P25755-G16: „Staff, inmates and organisational
structure of Vienna public Hospital in Early Modern Period“, angesiedelt am IÖG (Bearbeiterin Sarah Pichl-
kastner), soll die Geschichte der Frühen Neuzeit aufarbeiten.
2 Scheutz–Weiss, Spitalordnung 299–349.
3 Zedler, Universal-Lexikon 56 Sp. 248f.
4 Ebd. Sp. 219.
5 Als Überblick Weiss, Geschichte der öffentlichen Anstalten 83–101; als gediegenen neueren Über-
blick Berg, Gesundheitseinrichtungen 291–307.
6 Perger, Das St. Martinsspital; siehe Weiss, Geschichte der öffentlichen Anstalten 6–19; siehe die
Einträge bei Czeike, Wien Lexikon.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin