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IX.2 Wien – Zuchthausspital (Kommentar Nr. 191) 299
errichtete man vermutlich im Zuge dieser Umbauarbeiten. Das Zuchthaus und das da-
neben erbaute Arbeitshaus umfassten schließlich gemeinsam „gegen fünf hundert ander
nicht so strafmäßige, sondern zu Fabricken anwendende, in Betteln oder Müßiggang be-
tretende Leute, auch arme Kinder und Waisen“8. Diese Personen verteilte man so, „daß
die Buben von denen Mägdlein, auch die Erwachsene beederley Geschlechts separiret,
übrigens auch die Unschuldige von denen schuldigen oder verdächtigen Leuten abge-
sondert verbleiben“9. Im Zuchthaus, als einem „Straf-Ort“, waren die Verurteilten „nach
dem Gewicht oder Maaß, bey Straf der Peitschen aufgebenen Arbeiten [zu] verhalten“.
Bei guter Führung, sobald Häftlinge das „Fein-Spinnen und Stricken“ wohl „begriffen“
hatten, fleißig arbeiteten und die religiöse Unterweisung voranschritt, konnten Häftlinge
nach Maßgabe des Urteils einer Kommission sowie der dem Zuchthaus vorstehenden
Superintendenten vom Zucht- ins Arbeitshaus überstellt werden. Auch Strafmilderun-
gen bzw. Verschärfungen konnten auf der Basis von Arbeitswilligkeit und Frömmigkeit
verhängt werden. Die in den 1720er Jahren bemerkbare Verschärfung der Bettlergesetz-
gebung führte dazu, daß „unwürdige“ (starke) Bettler vorwiegend ins neu errichtete Wie-
ner Arbeitshaus eingewiesen werden sollten. Die Wiener Stadtregierung wurde angewie-
sen, „daß sie gedachtes Arbeits-Haus so gleich von allem andern Gebrauch leeren, die
Zimmer allda in gehörigen Stand setzen; und, damit die zu diesem Vorhaben nöthige
Manufacturen und Arbeiten allda eingeführet werden“10. Leichte, ohne große Vorkennt-
nisse verrichtbare Arbeiten sollten dort ausgeführt, die Grundherrschaften, aus denen die
Bettler stammten, mußten nach dem Heimatprinzip für jede Person „vier Kreutzer in
das Zucht-Haus zu reichen schuldig sein“11. Die starken, zu Polizeistrafen verurteilten
Bettler mußten im Arbeitshaus Hart- und Eichenholz schneiden, weiters wurden „der-
ley Bettler zum Marmorschneiden, Steinstossen, Küttmachen und dergleichen, auch in
andern geschlossenen Privat-Gebäuden, gegen einen reichenden billigen und der Arbeit
gemässen Lohn angehalten“12. Bettelnde Frauen sollten für die Orientalische Compag-
nie Spinnarbeiten verrichten. Aber auch das „Kotzen- Bandmachen und Stickerey“ lassen
sich als Beschäftigung nachweisen; vorzüglich an christliche, beim Ausbleiben derselben
an jüdische Lieferanten sollten Waren geliefert werden. Als der Domherr Anton Marxer
(1703–1775), Mitglied der seit 1739 eingerichteten Wohltätigkeitskommission, das Wie-
ner Zucht- und Arbeitshaus in der Karwoche 1742 besuchte, veranlasste die in Augen-
schein genommene Armut mehrerer Waisenkinder den Geistlichen dazu, den Fabrikanten
Johann Michael Kienmayer zur Gründung eines eigenen Waisenhauses am Rennweg zu
bewegen. Der Fabrikant ließ neben seiner Fabrik ein zweites Haus errichten, worin Waise
aufgenommen, aus dem Fonds der Armenkassa unterrichtet wurden und dafür in der
Fabrik arbeiten mußten. Unter Joseph II. läßt sich eine weitere Ausdifferenzierung dieser
Institution bemerken: 1783–1786 wurde das Arbeitshaus ausgegliedert, 1787 schließlich
erfolgte die Umwandlung des Wiener Arbeits- und Zuchthauses in ein reines Frauen- und
Männerzuchthaus, das für ganz Niederösterreich zuständig war. Seit der Aufhebung des
Tullner Zucht- und Arbeitshauses 1786 wurde die Wiener Einrichtung zum zentralen
Zuchthaus für ganz Niederösterreich.
8 CA IV 394–395 [Wien, 1726 Juli 18].
9 Ebd.; auch zum Folgenden.
10 CA IV 780 [Wien, 1732 Juli 11].
11 Ebd.
12 Ebd.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin