Page - 6 - in Österreichs Staatsidee
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Wenn nun der Ssterr. Staat nicht mehr der schützende
ist sowohl gegen das längst versumpfte Osmanenthum, welches
nur durch die Uneinigkeit der christlichen Regierungen am Leben er-
halten wird, als gegen den Geist und die Grundsätze der neueuro-
päischen Cultur, die in einer berühmten Acte der jüngst verflossenen
Tage geschildert und verworfen wurden: hörte damit auf oder gieng
etwa auch fein eigentlicher Beruf, seine Idee und Aufgabe ver-
loren, die das gegenwärtige Qefterreich erfüllen und vollenden foll
und die gerade Oefterreich allein durchführen kann? oder ist vielleicht
die Zeit bereits angebrochen, in der die verschiedenartigen Völker Oefter-
reichs, nunmehr ohne gemeinschaftliche Interessen und Zwecke, künftighin
nur jedes für sich selbst sorgen sollten und nur so lange beisammen
verbleiben, als sie die gebrechliche Gewalt des Schwertes zusammenhält?
Verschiedenartig, wenn auch nicht immer offen, gestaltet sich die
Antwort auf diese Frage. Viele, ja sehr viele, besonders Aus-
länder, stellen einen besonderen Beruf des österr. Reiches als eines
einheitlichen Ganzen vollständig in Abrede: und weil Oefterreich
eine geraume Zeit hindurch sich als der Hort der Reaction in Europa
erwies, so halten sie dafür, daß es ersprießlich wäre, wenn dieses
Ganze in feine ursprünglichen Bestandtheile wieder zerfiele. Andere
gestehen zwar, daß Österreich eine gewisse Aufgabe und Bestim-
mung verfolge, gehen aber in der Feststellung und Benennung
derselben aus einander: die einen möchten in Oefterreich, die den
Katholizismus im Allgemeinen, besonders aber im Osten Europa's
schützende Macht sehen, während andere von ihm verlangen, es
solle die Gleichberechtigung aller giltigen Confessionen auerlennen;
die einen machen es zu seiner Aufgabe, die deutsche Macht und
Cultur nach Osten zu tragen, während andere seinen Beruf darin
sehen, es solle in der gegenwärtigen Zeit, die nicht ohne Grund das
Nationalitäten-Zeitalter heißt, den Grundsatz der Gleichberechtigung
aller Nationalitäten innerhalb feiner Marken zur That werden
lassen. Endlich giebt es noch ewe Partei, die für den Augenblick zwar
schweigt aber keineswegs entsagt, die Alles, was erst vom I. 1848
datirt, für verhängnißvolles Verirren hält und die Rücklehr in die
alten Geleise des Absolutismus zurückwünscht und erwartet, daß
dem die gepriesene Periode des Glaubens und des Gehorsams
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918