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lautet, fügt es noch eine directe Beleidigung denjenigen zu, die es
Unrecht leiden läßt.
Nicht minder verletzend ist ein anderes Sofisma, welches wir
Böhmen, so wie die übrigen Slaven und Rumänen überhaupt
häufig hören müssen: Ihr seid eine noch allzuwenig gebildete
Nation, und höhere Bildung könnet ihr doch nur durch uns Deut-
fche oder Magyaren erreichen; zum eigenen Vortheil lernet ihr und
müsset auch unsere Sprachen lernen, da ihr wohl wißt, daß ihr
ohne ihre Kenntniß nicht einmal Amtsschreiber ober Korporale
werden könnet; euere ungeschliffene und arme Sprache paßt gar
nicht in höher gebildete Sphären: wozu also ein solcher Kraft-
und Kostenaufwand zur Veredlung einer an sich entbehrlichen
Sprache? Es ist dieß eine eigene Illustration zu dem deutschen
Sprichwort, daß wer Schaben erlitt, dem Spotte nicht entgehen
kann. Ein glänzender Syllogismus das, — Jemanden zuerst die
gesetzliche Möglichkeit der Erreichung einer höheren nationalen
Bildungsstufe abschneiden, und dann ihm vorwerfen, daß er sie
nicht erreicht habe! Diejenigen, die da so sprechen, sollen sich
wenigstens nicht erdreisten, selbst höherer Bildung und Freifinnig-
keit sich zu rühmen; leisten sie ja nicht einmal dem einfachen,
jüdischen Grundsatz: „leben und leben lassen", — Genüge. Übet
doch nur Gerechtigkeit, meine Herren, und wenn Ihr auch nicht
gleich jedem gebet, was er vielleicht weder wünscht noch benöthigt,
so schlaget es wenigstens denen nicht ab, die es verlangen und
brauchen und durch zahlreiche Opfer, die sie zum allgemeinen
Besten bringen, es längst verdient haben. Entschlagt Euch dann
aller Sorge, was ein Jeder welter zu thun habe, um in Hmtern,
in der Armee oder im Handel sein Fortkommen zu finden; ist er
erst nur ans natürlichem Wege hinlänglich gebildet, so wird er
schon selbst feinen Vorthell am besten wahrzunehmen wissen.
Mit Phrasen des modernen Liberalismus um sich herum
werfen, mit höherer Bildung und konstitutioneller Gesinnung
prahlen, Pruntreden halten über Gerechtigkeit und Humanität und
dabei doch mit Händen und Füßen an allen den Bevorrechtnngen
und materiellen Bortheilen festhalten, die man nur auf dem Wege
der Wllllühr und Gewalt erlangen hat, überdies noch hochmüthig
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918