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höheren Maaße die moderne Bildung und der Grundsatz der
constitutionellen Freiheit. Das Wesen der konstitutionellen Ver-
fassung liegt ja eben darin, baß man Gesetze nicht nach dem Wil-
len des Regenten allein, sondern nach dem Willen des staatlichen
Oesammtorganismus, d. h. nach dem Willen des Herrschers und
der Böller zugleich ergehen lasse. Die Böller sprechen ihren
Willen durch ihre Abgeordneten in die Landtagsversammlungen
aus; daher sind die Landtage, die nicht nur Wünsche, Hoffnungen
und Gutachten sondern auch den wirtlichen und gültigen Willen
der Böller aussprechen, das wesentliche Grunderforderniß und
Merkmal einer constitutionellen Verfassung. Daß aus ihren Be-
rathungen und Verhandlungen über all die einander widerstreiten-
den Ansichten und Wünsche verschiedener Parteien, der Wille der
ganzen Nation, oder wenigstens ihrer eminenten Majorität, stets
klar und unverftlfcht sich ergebe, dafür sollen die einzelnen Wahl-
und Geschäftsordnungen der Landtage Sorge tragen. Bon ihnen
will ich hier vorläufig nicht handeln, sondern richte mein Augen-
merk vorerst zur Sprachenfrage in den Landtagen.
Jedermann wird einsehen, daß es absolut unmöglich sei,
daß die Abgeordneten aller österreichischen Böller in ihren Zu-
sammenkünften, Beratungen und Verhandlungen ein jeder seiner
Muttersprache sich bedienen sollte, daß daher im österreichischen
Parlamente deutsch, böhmisch, polnisch, ruthenisch, magyarisch, ru-
mänisch, südslawisch, slowenisch und italienisch durcheinander ge-
sprochen werde; es würde daraus nur ein neues Babel entstehen,
das nicht zur Verständigung und Einigung, wohl aber zu Zer-
würfnissen und zur Spaltung führen müßte. Selbstverständlich
kann auch der gebildetste Mensch nicht immer zugleich ein Mithri«
dates oder Mezzofanti sein, der da in zehn oder noch mehren
Sprachen verhandeln könnte. In zwei, manchmal auch in drei
Sprachen kann man zwar ohne große Schwierigkeiten verhandeln;
in mehren Sprachen ist es wohl nicht mehr möglich. Soll aber
deßwegen willlührlich verfahren und einer oder ^uch dreien oder
vier Sprachen das Privilegium gegeben werden, daß in ihnen
allein alle öffentlichen und privaten Angelegenheiten der übrigen
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book Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918