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Völker besorgt und sie auf diese Art in ihrem nationalen Rechte
beeinträchtigt werden sollten?
Mannigfach sind die Anträge, die zur endgiltigen Lösung
dieser überaus schweren Aufgabe gemacht werden. Das einfachste
und summarischste Verfahren wäre wohl jenes, welches die schon
früher von mir erwähnte Partei, die jetzt zwar schweigt, aber
keineswegs entsagt, wohl am liebsten sehen würde, wenn es nämlich
gar keine Landtage und überhaupt leine Constitution geben möchte
und die Wünsche der einzelnen Nationen nach altpatriarchalifcher
Gewohnheit durch Ordonnanzen von Oben beglichen würden. Da
jedoch die Hoffnungen und Pläne dieser Partei, wenn sie auch
auf eine kurze Zeit realisirt würden, keineswegs von langer Dauer
sein könnten und den Staat in noch größere und vielleicht un-
heilbare Wirren stürzen würden, werde ich mich hier mit ihnen
eingehender nicht beschäftigen. Indem ich auch andere, vielleicht
nicht ganz unmögliche Vorschläge mit Schweigen übergehe, wende
ich mich zur Würdigung derjenigen, die wirklich gemacht wurden
und noch bisher gemacht werden und deren Differenzen und
Chancen in Wort und Schrift von allen denjenigen erwogen und
discutirt werden, die sich aufrichtig mit der österreichischen Ver-
fassungsfrage beschäftigen.
Auch hier muß ich aber einige allgemeine Bemerkungen voran-
schlcken. Die constitutionelle Verfassung wuchs und entwickelte sich
in Osterreich nicht so wie in England auf historischem Boden,
durch natürlichen und allmähligen Entwicklungsgang heran, sie
wurde auch nicht, wie in Frankreich, im jahrelangen Kampfe der
gesammten nationalen Intelligenz errungen und organisirt, fondern
sie wurde wie ein fertiges, wenn auch fremdes Reis plötzlich auf
die verschiedenen einheimischen Setzlinge gepfropft. Natürlich stellt
sich auch allfogleich die Frage, ob sie denn wohl auch in unfern
Garten, auf unsere Verhältnisse in der Gestalt unverändert paßt,
wie sie in der Fremde sich herangebildet hat? Wird die Uniform!-
tät, die bei homogenen Staaten so sehr beliebt ist, auch einem
solchen staatlichen Organismus anstehen, der aus so heterogenen
Iheilen zusammengesetzt ist? Jeder Besonnene erkennt allsogleich,
daß dies wenigstens eine der Erwägung bedürftige Sache sei.
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918