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haben, zu begreifen und sich vorzustellen; alles, was diesen Mustern
nicht aufs Haar ähnlich sieht, scheint ihnen weder fteisinnig, noch
konstitutionell zu sein; sie hören nicht auf, über Reaction zu klagen
und zu lärmen, so lange in ihrem liberalen Katechismus auch
nur ein Punkt über dem i unausgefüllt bleibt. Und da in jener be-
liebten Schablone die Sprachenfrage keinen Platz fand, so wollen
sie von ihr auch in der österreichischen Verfassung nichts hören;
sie genirt sie und sie wissen nicht, was mit ihr anzufangen; daher
ignoriren sie dieselbe soviel sie nur können oder stellen sie vollends in
Abrede; und indem sie im Rotteck-Welckerschen Styl glänzend Philoso-
phiren, fällt es ihnen gar nicht bei, daß für ihre Weisheit bei
ams oft sogar der Boden fehlt, in dem ihr Korn aufgehen, Blü-
then und Früchte tragen könnte. Alle diejenigen, die den sprach-
lichen Schwierigkeiten durch bloßes Stillschweigen oder Nichtachten
derselben entgehen wollen, erinnern nur allzusehr an den schlauen
Vogel Strauß, der da meint, aller Gefahr zu entrinnen, wenn er
nur die Augen vor ihr schließt.
Line andere Erwägung erheischt folgende Frage: wenn es
schlechterdings unmöglich ist, daß die österreichischen Böller bei
ihren Zusammenkünften jedes in feiner Muttersprache mitsammen
reden, läßt sich denn diese Unzulömmlichteit auf keine andere Art
beseitigen, als durch das verletzende Privilegiren des Einen vor
den Übrigen? ist es denn wirklich nothwendig, daß sie in ihren
Generallandtagen alle die verschiedenartigen Bedürfnisse des öffent«
liehen und privaten Lebens verhandeln und hier, wie man zu sagen
pflegt, äs onmi re 3oibi!i ot ymbugäzw 2IÜ3, sprechen? wäre
es nicht angezeigt, daß man die Gegenstände ihrer Verhandlungen
absondere und die gemeinschaftlichen Angelegenheiten, ohne welche die
Reichseinheit unmöglich ist und die daher nothwendigerwelfe durch
den Gesammtwillen entschieden werden müssen, von solchen Gegen-
ständen trenne, die einer uniformalen und gemeinsamen Entscheidung
nicht bedürfen, ja dieselbe vielleicht gar nicht vertragen? Für jene,
freilich wichtigen, aber keineswegs zahlreichen Angelegenheiten dürfte
sich schon wohl ein Behandlungsmodus finden, der dem Gefühle
der einzelnen Völler weniger nahe treten würde, wenn sie nur
überzeugt wlren, daß ihr natürliches Recht glltig anerkannt »nd
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918