Page - 49 - in Österreichs Staatsidee
Image of the Page - 49 -
Text of the Page - 49 -
49
Dieser neue Dualismus, der sich erst organisiren soll, kann
meiner Anficht nach nur eine von den folgenden Gestalten an-
nehmen: 1) die zwei Hälften des Reiches, von denen die eine
Wien die andere Pest zur Hauptstadt haben wird, werden zwar
einen gemeinschaftlichen Beherrscher, aber verschiedene, von ein-
ander unabhängige Gesetze haben — es bedeutete dies also eine reine
Personalunion; 2) Wien und Pest werben unter einem gemein-
schaftlichen Herrscher über einige gemeinschaftliche Gesetze nur in
außerordentlichen Fällen, wenn es besonders Noth thut, verhandeln
— das bekannte „von Fall zu Fall" des H. Deik; oder 3) über
alle gemeinsamen Reichsgesetze (die das Oktoberdiplom im § 2,
das Februarpatent im § 10 aufzählt) verhandeln Wien und Pest
regelmäßig und erledigen dieselben auch unter ihrem gemeinschaftli-
chen Herrscher gemeinschaftlich; die übrigen Angelegenheiten erledigt
mit der Zustimmung des Herrschers jede Hälfte für sich allein —
dies wäre der Dualismus im Sinne des Grafen 82se8sn und,
wie ich glaube, auch des H. Kaisersfeld. Die Mittelform scheint
ein Compromiß zwischen den beiden extremen Parteien, der ersten,
sogenannten Resolutionspartei, und der dritten, den sogenannten
„Oktobermännern" zu sein.
Wien, das da endlich einsieht, daß die bloße und durch-
greifende Centralisation, wie es sich dieselbe am ehesten wünschen
würde, auf unüberfteigliche Hindernisse stoßt, fängt nun an, zu
der zuletzt erwähnten Form des Dualismus sich zuzuneigen und
weist es nicht mehr so entschieden zurück, sich mit Pest um den
Schwerpunkt des Reiches zu theilen. In der Hoffnung auf den
Erfolg solcher Vereinbarungen wurde es durch einige unlüngft von
H. Deit öffentlich gesprochene Worte bestärkt, in welchen auf
die Erhaltung der Einheit und Macht des Reichs Gewicht gelegt
wurde. Falls ich jedoch im I. 1861 nicht schlecht unterrichtet war,
schien H. Deal schon damals, wenigstens eine Zeit bevor er sein
„von Fall zu Fall" aussprach, sehr geneigt, die zuletzt genannte
Form der Erledigung von Reichsangelegenheiten anzunehmen. Wenn
er sich nun später mehr von dem Willen der Majorität seiner Na-
tion, als von seinem eigenen leiten ließ, so kann man wohl an-
nehmen, daß er dies auch künftighin thun werde.
Palaclch: Österreich'« Staatsidee. 4
back to the
book Österreichs Staatsidee"
Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918